Bild: Blick auf Lissabon, Hauptstadt von Portugal
Die Reise dorthin ist von Bern aus weit. Zwei bedeutende europäische Nationen sind zu durchqueren: Frankreich und Spanien. Der erste Eintrag in unserem iberischen Tagebuch widmet sich daher der ersten Station im Herzen der französischen Provinz: Clermont-Ferrand.
Bild: Blick auf die Altstadt von Clermont-Ferrand
Wer kennt schon Clermont-Ferrand? Dabei ist hier Weltgeschichte geschrieben worden. Hier war das Zentrum der Arverner. Dessen berühmter Spross war der gallische Kriegsfürst Vercingetorix: Er stellte sich in Alesia dem römischen Feldherr Julius Cäsar entgegen – und unterlag. Das Avernerland wurde römische Provinz. Und als Zeichen der Unterwerfung errichteten die Römer auf dem Puy de Dôme in Sichtweite von Clermont-Ferrand einen Merkur-Tempel. Jahrhunderte später waren es ausgerechnet die Franken, die das Erbe des weströmischen Reichs antraten und die Christianisierung vorantrieben. Womit die Stadt zum zweiten Mal Weltgeschichte schrieb – und zwar als Ausgangspunkt der Kreuzzüge. Denn hier rief Papst Urban II im Jahre 1095 mit den Worten „Deus lo vult“ auf, ins Heilige Land gegen die Muslime in den Krieg zu ziehen. Was dann auch geschah und bis heute Not, Elend und Tod verursacht.
Bilder: Die Statue Vercingetorix auf dem Hauptplatz und jene von Papst Urban auf dem alten Kirchenplatz
Die nächste Station ist Arcachon, Frankreichs Rimini mit weitem Strand, belebter Promenade und kitschig-schönen Sonnenuntergängen. Der Badeort liegt an der Biskaya am südlichen Ufer des Bassin d’Arcachon, einem Binnenmeer. Einst war Arcachon ein bedeutungsloses Fischerdorf, bis es ab dem 19. Jahrhundert zum angesagten Badeort avancierte. Eine Besonderheit von Arcachon ist die Dune du Pilat, die höchste Düne Europas. Die Partystimmung in Arcachon wird allerdings seit einigen Jahren getrübt. Der Klimawandel macht sich bemerkbar — mit der Folge, dass in den Kieferwäldern entlang des Atlantiks immer wieder tagelange Brände wüten.
Bild: Getrübte Ferienstimmung: Brände in den nahen Küstengebieten von Archachon
Weiter geht es über die Pyrenäen nach Spanien ins kastilische Burgos, 250 Kilometer nördlich von Madrid gelegen. Die Winter hier sind kalt, die Sommer dagegen heiss. Im Juni brennt die Sonne unbarmherzig auf die abgeernteten und strohbedeckten Getreidefelder und taucht die Landschaft bis zum Horizont in goldenes Licht.
Bilder: Gold und Kirche; Stadttor von Burgos
Nach 1650 Kilometer schliesslich die Grenze zu Portugal, ein kleines Land, verloren am westlichsten Zipfel des europäischen Kontinents und bis ins Mittelalter das Ende der Welt. Nach Portugal kam nichts mehr, nur das Meer und das Unbekannte. So schien das Land auch nie prädestiniert dafür zu sein, Geschichte zu schreiben – weder die eigene noch Weltgeschichte. Das taten andere im einstigen Lusitanien: erst Phönizier, Römer, Germanen und die Mauren, später Spanien, Frankreich und England. Selten war das Land eine unabhängige Nation, sondern meist nur Eroberung, Kolonie oder Protektorat.
Bild: am Atlantik nördlich von Porto
Doch Geografie kann Schicksal sein. Plötzlich und unvermittelt stieg das unbedeutende Portugal im 15. und 16. Jahrhundert zur ersten europäischen Seemacht auf mit Kolonien in Angola, Mosambik, Brasilien, Ost-Timor und Macau. Ausschlaggebend dafür war der Fall einer 4000 Kilometer entfernten Stadt: die Eroberung Konstantinopels durch die Türken. Für Europa wurde damit der Handel mit dem Orient und mit Asien schwieriger. Also suchten die europäischen Mächte einen anderen Weg nach Osten.
Dass dieser über das Meer führen muss, erkannte der Portugiese Dom Henrique de Avis – bekannt als Heinrich der Seefahrer – als einer der ersten. Er war Schirmherr der portugiesischen Entdeckungsreisen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts und förderte die Suche nach Routen entlang der westafrikanischen Küste nach Osten. Die von initiierte Phase Portugals als See- und Kolonialmacht dauerte allerdings nur einige Generation. Schon 1580 übernahm Spanien die Macht in Portugal.
Die kurze Zeit von Ruhm und Glanz war vorbei. Aber sie hatte dafür ausgereicht, dass sich Portugals Sprache und Kultur in vielen Teilen der Welt etablierte und sich des kleinen Landes einen gewichtigen Eintrag in die Weltgeschichte sichern konnte.
Bild: Statue zu Ehren von Heinrich dem Seefahrer — “Auf nach Westen”
Das spürt man auch in Porto, Heimatstadt von Heinrich dem Seefahrer und erster Eintrag zu Portugal in unserem iberischen Tagebuch. Die Stadt, Metropole des Nordens, ehrt ihren Sohn mit einer Statue und ist Namensgeberin der Nation (und des Portweins). Vieles in Porto erinnert an die einstige Grösse. Dazu gehören nicht nur die Börse und viele prächtige Stadthäuser, sondern auch der Geist, den die Stadt atmet. Sie ist eine Stadt der Händler und des Bürgertums, die sich immer wieder Krone und Kirche zu entziehen versuchte. Ein Beispiel dafür ist das vor 100 Jahren erbaute Rathaus am Ende der Avenida dos Aliados. Das imposante Gebäude verdeckt just eine der sieben Kirchen Portos, die zusammen so angeordnet sind, dass sie ein lateinisches Kreuz über die ganze Stadt hinweg bilden. Die Botschaft ist klar: Das Sagen hat hier das Weltliche, nicht das Religiöse.
Bilder: Impressionen von Porto
Weiter geht es Richtung Süden, oft durch bewaldete Gebiete. Und was ist der Nationalbaum Portugals? Natürlich die Korkeiche, möchte man zumindest meinen. Doch das stimmt nur bedingt. Es ist der Eukalyptus. Dort, wo der Boden nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wird, wird der Baum aus Australien als Rohstoff für Portugals Zellulose-Industrie angepflanzt. Jeder vierte Baum in Portugal ist heute ein Eukalyptus. Er wächst zwar schnell, verbraucht aber enorm viel Wasser und brennt wie Zunder. Das ist auch einer der Gründe, weshalb es in Portugal mit dem Klimawandel immer häufiger zu verheerenden Waldbränden kommt.
Immerhin, in der Region Alentejo bleibt die Korkeiche der bestimmende Baum, zumal er industriell von Bedeutung ist. So werden aus dessen Rinde nicht nur Flaschenverschlüsse und Bojen gefertigt, sondern auch Dichtungsmaterial, Dämmstoffe, Bodenbeläge und Tapeten.
Bilder: oben Eukalyptos, unten Korkeichen
Nächster Halt ist Figueira da Foz, die Strandadresse für ferienhungrige Portugiesen. Auch hier mischte die Geografie mit: Das einstige Fischerdorf entwickelte sich in den 60er-Jahren des 19. Jahrhunderts zu einem Badeort nach dem Vorbild französischer Badeorte mit prächtigen Jugendstil-Häuser und mit einem herrlich weiten Strand. Der Strand ist auch heute noch beeindruckend – allerdings umsäumt von Dutzenden hässlichen Betonklötzen.
Bilder: Stürmische Wellen und das “Heerlager” der Strandgängerinnen und ‑gänger.
Dann weiter nach Coimbra. Das Besondere an der Stadt: Auf dem Stadthügel thront nicht eine Burg oder eine Kirche, sondern die Universität Coimbra mit Barockturm, der pompösen Biblioteca Joanina mit goldenen Dekorts, Emporen und meterhohen Bücherregalen. Die Portugiesen rühmen die Universität als eine der ältesten und renommiertesten in Europa. Doch wer nicht nur die alten Prachtbauten beachtet, sondern auch die später, in der Zwischenkriegszeit gebauten Gebäude, der kommt einer anderen Seite der Universität auf die Spur: Sie sind von der gleichen faschistischen Architektur wie in Mussolinis Italien. Denn in Coimbra lehrte Antonio de Oliveira Salazar als Professor für Volkswirtschaft, bevor er in Portugal eine Diktatur installierte.
Bild: Eingang zur alten Universität
Salazar übernahm 1932 die Regierung und baute mit Hilfe von Kirche, Militär und den einflussreichen Familien ein reaktionäres System auf, das die Kolonien rücksichtslos ausbeutete, Portugal in die Rückständigkeit führte und erst 40 Jahre später mit der Nelkenrevolution 1970 endete. Mit einem brutalen Polizeiapparat hatte Salazar jede Kritik im Keim erstickt und gnadenlos Linke und Regimekritiker verfolgt. Heute gilt Salazar als der vergessene Diktator Europas, weil in Portugal bisher keine Aufarbeitung seiner Herrschaft stattgefunden hat.
Portugal ist ein von sanften Hügelzügen durchzogenes Küstenland. Aber es gibt auch bergige Gebiete, vor allem im Nordosten. Dazu gehört die Serra da Estrela, das Sterngebirge, nächste Station in unserem Tagebuch. Mit dem 1993 Meter hohen Torre Portugal (während der Diktatur eine Überwachungsstation des Militärs) verfügt der heutige Nationalpark die höchste Erhebung Portugals, zumindest auf dem Festland. Die Landschaft ist rau und meist baumlos, übersät von durch einstige Gletscher rundgewetzte Granitfelsen, die zuweilen wie von Riesen aufgetürmt erscheinen. Lange Zeit wurde die Region genutzt als Schafs- und Ziegenweiden. Insbesondere die Wollindustrie und die Käseproduktion war früher wichtig. Heute indes gewinnt der Tourismus als Wirtschaftszweig immer mehr an Bedeutung – eine Entwicklung, die in ganz Portugal zu beobachten ist.
Bild: Höchster Punkt Portugals auf 1993 Meter über Meer
Vom höchsten Punkt Portugals geht es weiter zum westlichsten Punkt Kontinentaleuropas, zum Cabo da Roca, 15 Kilometer nördlich von Lissabon. Eine kleine, nach Westen gerichtete Steinsäule einige Meter von einer 140 Meter steil in den Atlantik abfallenden Felswand markiert die Stelle. Der Wind pfeift und die Brandung tost. Ein Naturschauspiel am Ende der alten Welt.
Bilder von oben nach unten: das Mosteiro dos Jeronimos, der Turm in Belem, die Praça do Comércio mit Eingangstor, die Kathedrale und natürlich die Strassenbahn
Weiter geht es durch den Alentejo …
Bilder: Fahrt der Küste von Lagos entlang
Weiter über Albufeira, Top-Adresse für die Schickimickiszene der Reichen und Schönen, nach Faro, die Algarve-Hauptstadt. Sie ist eine portugiesische Durchschnittsstadt minus Tourismus – und daher ein Stück authentisches Portugal. Sinnbild dafür ist, dass die Anflugschneise des Flughafens ausgerechnet über die Lagunenlandschaft der Ria Formosa führt. Aber es dreht sich hier eben nicht alles um die Touristen, sondern auch um Handel, Gewerbe und die Uni.
Bilder: Blick auf die Stadt und den beleuchteten Alcazar
Weiter nach Saragossa, einer Wirtschaftsmetropole Spaniens. Spanien ist – wie Deutschland und Frankreich – ein Autoland. In Saragossa werden seit 1982 Opel-Modelle produziert, darunter Corsa, Mokka und Crossland sowie der Citroen CS. Das Wahrzeichen der Stadt ist die Basilica del Pilar, ein Barockbau, der dementsprechend Ähnlichkeiten aufweist mit Kirchen in Süddeutschland und der Schweiz. Im spanischen Bürgerkrieg war die Stadt heftig umkämpft, weil die Faschisten hier eine wichtige Kommunikationszentrale eingerichtet hatten. Über 3500 Menschen fielen in Saragossa dem Terror Francos zum Opfer.
Bild: Rom als Fundament von Portugal, Spanien und Frankreich: Ausgrabungsstätte in Saragossa
Die letzte Station auf der Reise zurück nach Bern bildet Nîmes in Frankreich. Mit seinem Amphitheater und Diana-Tempel steht Nîmes stellvertretend für das römische Fundament, welches alle Kulturen und Sprachen in Südwest-Europa bis heute entscheidend prägt und trägt. Welche Stadt und welchen Ort man auch immer besucht: Erschlossen und „in die Welt gerufen“ wurden all die Regionen und Landschaften von den machtbewussten und eroberungsstarken Römern mit ihrer Ingenieurkunst und mit ihrer Fähigkeit in Organisation und Verwaltung. Alle anderen, die ihnen folgten – die Westgoten, die Franken und teils selbst die Mauren – waren letztlich Kinder des römischen Reiches und bestrebt, römische Errungenschaften durch die Wirren der Zeiten zu führen. Und dabei spielte die Geografie wohl immer mit – als Grenze für das, was möglich war und was nicht.