DAS IBE­RI­SCHE TAGEBUCH

Juli/​August 2022. „Geo­gra­fie ist Schick­sal“, lau­tet die The­se des eng­li­schen Histo­ri­kers Ian Mor­ris. Es sei die geo­gra­fi­sche Lage, die über Jahr­hun­der­te hin­weg die Geschich­te und die Ent­wick­lung von Völ­kern und Natio­nen prä­ge. Was heisst das für ein Land wie Por­tu­gal, das stets am Ende der Welt lag und dann plötz­lich zur Brücke in die neue Welt wur­de? Eine Fra­ge, die Anlass genug ist, die­ses Land im Westen der ibe­ri­schen Halb­in­sel zu besuchen.

Bild: Blick auf Lis­sa­bon, Haupt­stadt von Portugal

 

Die Rei­se dort­hin ist von Bern aus weit. Zwei bedeu­ten­de euro­päi­sche Natio­nen sind zu durch­que­ren: Frank­reich und Spa­ni­en. Der erste Ein­trag in unse­rem ibe­ri­schen Tage­buch wid­met sich daher der ersten Sta­ti­on im Her­zen der fran­zö­si­schen Pro­vinz: Clermont-Ferrand.

Bild: Blick auf die Alt­stadt von Clermont-Ferrand

 

Wer kennt schon Cler­mont-Fer­rand? Dabei ist hier Welt­ge­schich­te geschrie­ben wor­den. Hier war das Zen­trum der Arver­ner. Des­sen berühm­ter Spross war der gal­li­sche Kriegs­fürst Ver­cin­ge­to­rix: Er stell­te sich in Ale­sia dem römi­schen Feld­herr Juli­us Cäsar ent­ge­gen – und unter­lag. Das Aver­ner­land wur­de römi­sche Pro­vinz. Und als Zei­chen der Unter­wer­fung errich­te­ten die Römer auf dem Puy de Dôme in Sicht­wei­te von Cler­mont-Fer­rand einen Mer­kur-Tem­pel. Jahr­hun­der­te spä­ter waren es aus­ge­rech­net die Fran­ken, die das Erbe des west­rö­mi­schen Reichs antra­ten und die Chri­stia­ni­sie­rung vor­an­trie­ben. Womit die Stadt zum zwei­ten Mal Welt­ge­schich­te schrieb – und zwar als Aus­gangs­punkt der Kreuz­zü­ge. Denn hier rief Papst Urban II im Jah­re 1095 mit den Wor­ten „Deus lo vult“ auf, ins Hei­li­ge Land gegen die Mus­li­me in den Krieg zu zie­hen. Was dann auch geschah und bis heu­te Not, Elend und Tod verursacht.

Bil­der: Die Sta­tue Ver­cin­ge­to­rix auf dem Haupt­platz und jene von Papst Urban auf dem alten Kirchenplatz

 

Die näch­ste Sta­ti­on ist Arcachon, Frank­reichs Rimi­ni mit wei­tem Strand, beleb­ter Pro­me­na­de und kit­schig-schö­nen Son­nen­un­ter­gän­gen. Der Bade­ort liegt an der Bis­ka­ya am süd­li­chen Ufer des Bas­sin d’Arcachon, einem Bin­nen­meer. Einst war Arcachon ein bedeu­tungs­lo­ses Fischer­dorf, bis es ab dem 19. Jahr­hun­dert zum ange­sag­ten Bade­ort avan­cier­te. Eine Beson­der­heit von Arcachon ist die Dune du Pilat, die höch­ste Düne Euro­pas. Die Par­ty­stim­mung in Arcachon wird aller­dings seit eini­gen Jah­ren getrübt. Der Kli­ma­wan­del macht sich bemerk­bar — mit der Fol­ge, dass in den Kie­fer­wäl­dern ent­lang des Atlan­tiks immer wie­der tage­lan­ge Brän­de wüten.

Bild: Getrüb­te Feri­en­stim­mung: Brän­de in den nahen Küsten­ge­bie­ten von Archachon

Wei­ter geht es über die Pyre­nä­en nach Spa­ni­en ins kasti­li­sche Bur­gos, 250 Kilo­me­ter nörd­lich von Madrid gele­gen. Die Win­ter hier sind kalt, die Som­mer dage­gen heiss. Im Juni brennt die Son­ne unbarm­her­zig auf die abge­ern­te­ten und stroh­be­deck­ten Getrei­de­fel­der und taucht die Land­schaft bis zum Hori­zont in gol­de­nes Licht.

Fast scheint es, als ob die Land­schaft mit ihrem gol­de­nen Licht der Kathe­dra­le von Bur­gos ihre Refe­renz erweist. Denn die­se spart in ihren Altä­ren, Sakri­stei­en und Kir­chen­schif­fe eben­falls nicht mit Gold und ist Sinn­bild für katho­li­sche Pracht- und Macht­ent­fal­tung. Dies frei­lich mit Grund: Schliess­lich lie­gen hier die Über­re­ste des Rit­ter­hel­den El Cid, Sym­bol für die Ein­heit Spa­ni­ens und für den Sieg der Chri­sten­heit über den Islam, der soge­nann­ten Recon­qui­sta. Weni­ger rühm­lich indes dürf­te für die stock­ka­tho­li­sche Stadt sein, wel­che Rol­le sie im spa­ni­schen Bür­ger­krieg spiel­te: Sie war Sitz des faschi­sti­schen Regimes von Dik­ta­tor Fran­co, der eine demo­kra­tisch gewähl­te Regie­rung stürz­te und Hun­der­tau­sen­de mas­sa­krie­ren liess.

Bil­der: Gold und Kir­che; Stadt­tor von Burgos

 

Nach 1650 Kilo­me­ter schliess­lich die Gren­ze zu Por­tu­gal, ein klei­nes Land, ver­lo­ren am west­lich­sten Zip­fel des euro­päi­schen Kon­ti­nents und bis ins Mit­tel­al­ter das Ende der Welt. Nach Por­tu­gal kam nichts mehr, nur das Meer und das Unbe­kann­te. So schien das Land auch nie prä­de­sti­niert dafür zu sein, Geschich­te zu schrei­ben – weder die eige­ne noch Welt­ge­schich­te. Das taten ande­re im ein­sti­gen Lusi­ta­ni­en: erst Phö­ni­zi­er, Römer, Ger­ma­nen und die Mau­ren, spä­ter Spa­ni­en, Frank­reich und Eng­land. Sel­ten war das Land eine unab­hän­gi­ge Nati­on, son­dern meist nur Erobe­rung, Kolo­nie oder Protektorat.

Bild: am Atlan­tik nörd­lich von Porto

 

Doch Geo­gra­fie kann Schick­sal sein. Plötz­lich und unver­mit­telt stieg das unbe­deu­ten­de Por­tu­gal im 15. und 16. Jahr­hun­dert zur ersten euro­päi­schen See­macht auf mit Kolo­nien in Ango­la, Mosam­bik, Bra­si­li­en, Ost-Timor und Macau. Aus­schlag­ge­bend dafür war der Fall einer 4000 Kilo­me­ter ent­fern­ten Stadt: die Erobe­rung Kon­stan­ti­no­pels durch die Tür­ken. Für Euro­pa wur­de damit der Han­del mit dem Ori­ent und mit Asi­en schwie­ri­ger. Also such­ten die euro­päi­schen Mäch­te einen ande­ren Weg nach Osten.

Dass die­ser über das Meer füh­ren muss, erkann­te der Por­tu­gie­se Dom Hen­ri­que de Avis – bekannt als Hein­rich der See­fah­rer – als einer der ersten. Er war Schirm­herr der por­tu­gie­si­schen Ent­deckungs­rei­sen in der ersten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts und för­der­te die Suche nach Rou­ten ent­lang der west­afri­ka­ni­schen Küste nach Osten. Die von initi­ier­te Pha­se Por­tu­gals als See- und Kolo­ni­al­macht dau­er­te aller­dings nur eini­ge Gene­ra­ti­on. Schon 1580 über­nahm Spa­ni­en die Macht in Portugal.

Die kur­ze Zeit von Ruhm und Glanz war vor­bei. Aber sie hat­te dafür aus­ge­reicht, dass sich Por­tu­gals Spra­che und Kul­tur in vie­len Tei­len der Welt eta­blier­te und sich des klei­nen Lan­des einen gewich­ti­gen Ein­trag in die Welt­ge­schich­te sichern konnte.

Bild: Sta­tue zu Ehren von Hein­rich dem See­fah­rer — “Auf nach Westen”

 

Das spürt man auch in Por­to, Hei­mat­stadt von Hein­rich dem See­fah­rer und erster Ein­trag zu Por­tu­gal in unse­rem ibe­ri­schen Tage­buch. Die Stadt, Metro­po­le des Nor­dens, ehrt ihren Sohn mit einer Sta­tue und ist Namens­ge­be­rin der Nati­on (und des Port­weins). Vie­les in Por­to erin­nert an die ein­sti­ge Grö­sse. Dazu gehö­ren nicht nur die Bör­se und vie­le präch­ti­ge Stadt­häu­ser, son­dern auch der Geist, den die Stadt atmet. Sie ist eine Stadt der Händ­ler und des Bür­ger­tums, die sich immer wie­der Kro­ne und Kir­che zu ent­zie­hen ver­such­te. Ein Bei­spiel dafür ist das vor 100 Jah­ren erbau­te Rat­haus am Ende der Ave­ni­da dos Ali­a­dos. Das impo­san­te Gebäu­de ver­deckt just eine der sie­ben Kir­chen Por­tos, die zusam­men so ange­ord­net sind, dass sie ein latei­ni­sches Kreuz über die gan­ze Stadt hin­weg bil­den. Die Bot­schaft ist klar: Das Sagen hat hier das Welt­li­che, nicht das Religiöse.

Bil­der: Impres­sio­nen von Porto

 

Wei­ter geht es Rich­tung Süden, oft durch bewal­de­te Gebie­te. Und was ist der Natio­nal­baum Por­tu­gals? Natür­lich die Kork­ei­che, möch­te man zumin­dest mei­nen. Doch das stimmt nur bedingt. Es ist der Euka­lyp­tus. Dort, wo der Boden nicht mehr land­wirt­schaft­lich genutzt wird, wird der Baum aus Austra­li­en als Roh­stoff für Por­tu­gals Zel­lu­lo­se-Indu­strie ange­pflanzt. Jeder vier­te Baum in Por­tu­gal ist heu­te ein Euka­lyp­tus. Er wächst zwar schnell, ver­braucht aber enorm viel Was­ser und brennt wie Zun­der. Das ist auch einer der Grün­de, wes­halb es in Por­tu­gal mit dem Kli­ma­wan­del immer häu­fi­ger zu ver­hee­ren­den Wald­brän­den kommt.

Immer­hin, in der Regi­on Alen­te­jo bleibt die Kork­ei­che der bestim­men­de Baum, zumal er indu­stri­ell von Bedeu­tung ist. So wer­den aus des­sen Rin­de nicht nur Fla­schen­ver­schlüs­se und Bojen gefer­tigt, son­dern auch Dich­tungs­ma­te­ri­al, Dämm­stof­fe, Boden­be­lä­ge und Tapeten.

Bil­der: oben Euka­lyp­tos, unten Korkeichen

 

Näch­ster Halt ist Figuei­ra da Foz, die Strand­adres­se für feri­en­hung­ri­ge Por­tu­gie­sen. Auch hier misch­te die Geo­gra­fie mit: Das ein­sti­ge Fischer­dorf ent­wickel­te sich in den 60er-Jah­ren des 19. Jahr­hun­derts zu einem Bade­ort nach dem Vor­bild fran­zö­si­scher Bade­or­te mit präch­ti­gen Jugend­stil-Häu­ser und mit einem herr­lich wei­ten Strand. Der Strand ist auch heu­te noch beein­druckend – aller­dings umsäumt von Dut­zen­den häss­li­chen Betonklötzen.

Bil­der: Stür­mi­sche Wel­len und das “Heer­la­ger” der Strand­gän­ge­rin­nen und ‑gän­ger.

 

Dann wei­ter nach Coim­bra. Das Beson­de­re an der Stadt: Auf dem Stadt­hü­gel thront nicht eine Burg oder eine Kir­che, son­dern die Uni­ver­si­tät Coim­bra mit Barock­turm, der pom­pö­sen Biblio­te­ca Joani­na mit gol­de­nen Dekorts, Empo­ren und meter­ho­hen Bücher­re­ga­len. Die Por­tu­gie­sen rüh­men die Uni­ver­si­tät als eine der älte­sten und renom­mier­te­sten in Euro­pa. Doch wer nicht nur die alten Pracht­bau­ten beach­tet, son­dern auch die spä­ter, in der Zwi­schen­kriegs­zeit gebau­ten Gebäu­de, der kommt einer ande­ren Sei­te der Uni­ver­si­tät auf die Spur: Sie sind von der glei­chen faschi­sti­schen Archi­tek­tur wie in Mus­so­li­nis Ita­li­en. Denn in Coim­bra lehr­te Anto­nio de Oli­vei­ra Sala­zar als Pro­fes­sor für Volks­wirt­schaft, bevor er in Por­tu­gal eine Dik­ta­tur installierte.

Bild: Ein­gang zur alten Universität

Sala­zar über­nahm 1932 die Regie­rung und bau­te mit Hil­fe von Kir­che, Mili­tär und den ein­fluss­rei­chen Fami­li­en ein reak­tio­nä­res System auf, das die Kolo­nien rück­sichts­los aus­beu­te­te, Por­tu­gal in die Rück­stän­dig­keit führ­te und erst 40 Jah­re spä­ter mit der Nel­ken­re­vo­lu­ti­on 1970 ende­te. Mit einem bru­ta­len Poli­zei­ap­pa­rat hat­te Sala­zar jede Kri­tik im Keim erstickt und gna­den­los Lin­ke und Regime­kri­ti­ker ver­folgt. Heu­te gilt Sala­zar als der ver­ges­se­ne Dik­ta­tor Euro­pas, weil in Por­tu­gal bis­her kei­ne Auf­ar­bei­tung sei­ner Herr­schaft statt­ge­fun­den hat.

 

Por­tu­gal ist ein von sanf­ten Hügel­zü­gen durch­zo­ge­nes Küsten­land. Aber es gibt auch ber­gi­ge Gebie­te, vor allem im Nord­osten. Dazu gehört die Ser­ra da Est­re­la, das Stern­ge­bir­ge, näch­ste Sta­ti­on in unse­rem Tage­buch. Mit dem 1993 Meter hohen Tor­re Por­tu­gal (wäh­rend der Dik­ta­tur eine Über­wa­chungs­sta­ti­on des Mili­tärs) ver­fügt der heu­ti­ge Natio­nal­park die höch­ste Erhe­bung Por­tu­gals, zumin­dest auf dem Fest­land. Die Land­schaft ist rau und meist baum­los, über­sät von durch ein­sti­ge Glet­scher rund­ge­wetz­te Gra­nit­fel­sen, die zuwei­len wie von Rie­sen auf­ge­türmt erschei­nen. Lan­ge Zeit wur­de die Regi­on genutzt als Schafs- und Zie­gen­wei­den. Ins­be­son­de­re die Woll­in­du­strie und die Käse­pro­duk­ti­on war frü­her wich­tig. Heu­te indes gewinnt der Tou­ris­mus als Wirt­schafts­zweig immer mehr an Bedeu­tung – eine Ent­wick­lung, die in ganz Por­tu­gal zu beob­ach­ten ist.

Bil­der: Impres­sio­nen von der Ser­ra da Estrela

Bild: Höch­ster Punkt Por­tu­gals auf 1993 Meter über Meer

 

Vom höch­sten Punkt Por­tu­gals geht es wei­ter zum west­lich­sten Punkt Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas, zum Cabo da Roca, 15 Kilo­me­ter nörd­lich von Lis­sa­bon. Eine klei­ne, nach Westen gerich­te­te Stein­säu­le eini­ge Meter von einer 140 Meter steil in den Atlan­tik abfal­len­den Fels­wand mar­kiert die Stel­le. Der Wind pfeift und die Bran­dung tost. Ein Natur­schau­spiel am Ende der alten Welt.

Dann folgt Lis­sa­bon. Ein Bal­lungs­zen­trum mit fast drei Mil­lio­nen Men­schen und heu­te ein Tou­ri­sten-Hot­spot son­der­glei­chen. Kul­tu­ren aus allen Her­ren Län­der ver­misch­ten sich hier. Wahr­schein­lich waren es die Phö­ni­zi­er, die hier eine erste Sied­lung grün­de­ten; spä­ter folg­ten Grie­chen, Römer, West­go­ten, die Mau­ren und natür­lich die Spa­ni­er. Die Stadt auf den vie­len Hügeln wird seit dem Alter­tum immer wie­der von Erd­be­ben heim­ge­sucht. das ver­hee­rend­ste ereig­ne­te sich 1755 mit zehn­tau­sen­den von Toten. Ihre Blü­te erleb­te Lis­sa­bon als Haupt­stadt des ersten euro­päi­schen Kolo­ni­al­rei­ches und als füh­ren­des Zen­trum des Welt­han­dels im 15. und 16. Jahr­hun­dert. Damals war der Lis­sa­bon­ner Hafen der gröss­te der Erde. Vie­le Bau­ten zeu­gen noch von die­ser Zeit, etwa der Turm von Belém, die Pra­ça do Comércio oder das Mostei­ro dos Jero­ni­mos, wo der Sar­ko­pha­ge des See­fah­rers Vas­co da Gama liegt. Er war es, der als erster den See­weg nach Indi­en ent­deck­te. Eine wich­ti­ge Rol­le spiel­te die Stadt schliess­lich bei der Nel­ken­re­vo­lu­ti­on, wel­che die Dik­ta­tur von Sala­zar been­de­te. Einer links­ge­rich­te­ten Armee­grup­pe gelang es damals, gegen die Dik­ta­tur zu put­schen und das Land fried­lich in eine Demo­kra­tie zu führen.

Bil­der von oben nach unten: das Mostei­ro dos Jero­ni­mos, der Turm in Belem, die Pra­ça do Comércio mit Ein­gangs­tor, die Kathe­dra­le und natür­lich die Strassenbahn

 

Wei­ter geht es durch den Alentejo …

… in das Städt­chen Évo­ra, wo sich die por­tu­gie­si­schen Köni­ge krö­nen lie­ssen. Der Flecken ist wohl einer der ersten bewohn­ten Orte Por­tu­gals. Denn ganz in der Nähe befin­det sich das por­tu­gie­si­sche Stone­henge: 92 teils mit Sym­bo­len ver­zier­te Menhi­re in einem Oval plat­ziert und eini­ge hun­dert Meter davon ent­fernt ein wei­te­rer, allein­ste­hen­der 3,5 Meter hohen Men­hir aus grau­er Vor­zeit. 3000 Jah­re spä­ter ver­ewig­ten sich auch die Römer in Évo­ra mit einem (gut erhal­te­nen) Diana-Tempel.
Bild: Dia­na-Tem­pel in Evora
 
 
Geschichts­träch­tig ist auch die näch­ste Sta­ti­on: Lagos in der Algra­ve. Bekannt ist der Ort heu­te zwar als Feri­en­de­sti­na­ti­on mit lan­gem Sand­strand, male­ri­schen Fels­bu­chen, einer spek­ta­ku­lä­ren Küste und viel Par­ty­stim­mung in der Alt­stadt. Aber zu frü­he­ren Zei­ten war Lagos mit sei­nem geschütz­ten Anker­platz die letz­te Anle­ge­stel­le vor gro­ssen See­fahr­ten, wes­halb ihn schon die Römer nutz­ten. Von Bedeu­tung ist Lagos, weil die Stadt das Ende Por­tu­gals als Welt­reich mar­kiert. Hier brach König Seba­sti­an I. 1578 mit 18‘000 Mann auf, um Marok­ko zu erobern — schei­ter­te aber und wur­de getö­tet. Der Feld­zug schwäch­te Por­tu­gal der­art, dass es Spa­ni­en gelang, sich das Land für die näch­sten 60 Jah­re ein­zu­ver­lei­ben. Die Blü­te­zeit, die einst Hein­rich der See­fah­rer in Por­to ein­ge­läu­tet hat­te, war damit vor­bei. Was heu­te dar­an erin­nert, ist vor allem eines: die Tat­sa­che, dass sich in Lagos der erste Skla­ven­markt der Neu­zeit befand. Hier­her wur­den bis ins 18. Jahr­hun­dert Skla­ven aus Gui­nea und dem Sene­gal ver­schifft. Lagos gab denn auch der ehe­ma­li­gen nige­ria­ni­schen Haupt­stadt Lagos ihren Namen. Denn die­se war der Aus­gangs­ha­fen der Skla­ven­trans­por­te ins por­tu­gie­si­sche Lagos. 
Bild: Künst­le­ri­sche Dar­stel­lung von König Seba­sti­an I. in Lagos. Da sein Leich­nam nie gefun­den wur­de, bil­de­te sich der Mythos um den glück­lo­sen König, dass er einst wie­der­keh­ren werde …

Bil­der: Fahrt der Küste von Lagos entlang

 

Wei­ter über Alb­ufei­ra, Top-Adres­se für die Schicki­mickisze­ne der Rei­chen und Schö­nen, nach Faro, die Algar­ve-Haupt­stadt. Sie ist eine por­tu­gie­si­sche Durch­schnitts­stadt minus Tou­ris­mus – und daher ein Stück authen­ti­sches Por­tu­gal. Sinn­bild dafür ist, dass die Anflug­schnei­se des Flug­ha­fens aus­ge­rech­net über die Lagu­n­en­land­schaft der Ria For­mo­sa führt. Aber es dreht sich hier eben nicht alles um die Tou­ri­sten, son­dern auch um Han­del, Gewer­be und die Uni.

Nach Faro geht es wie­der zurück Rich­tung Bern. Erste Sta­ti­on auf der Rück­rei­se ist das anda­lu­si­sche Gra­na­da in Spanien …
… Nach den Römern und den West­go­ten waren es die Mau­ren, die sich ab dem 8. Jahr­hun­dert in wei­ten Tei­len der Ibe­ri­schen Halb­in­sel fest­setz­ten und erst im 14. Jahr­hun­dert durch das spa­ni­sche Kasti­li­en und Ara­gon gänz­lich besiegt und ver­trie­ben wur­den. Ein eigent­li­ches Denk­mal errich­te­ten sich die Mau­ren mit der Alham­bra in Gra­na­da. Zwar wur­de die Festungs­an­la­ge und Resi­denz der mus­li­mi­schen Köni­ge von den Spa­ni­ern zum Teil zer­stört. Was an Palä­sten und Anla­gen noch vor­han­den ist, ist aber sehr sehens­wert, ins­be­son­de­re die Stuck­decken und der Löwen­brun­nen der Alhambra.
Bil­der: Impres­sio­nen aus der Alhamra
 
 
Sehens­wert ist auch Tole­do, eine wei­te­re Zwi­schen­sta­ti­on in Spa­ni­en. Tole­do ist gewis­ser­ma­ssen die Stadt von Kreuz und Schwert. Dank Eisen­vor­kom­men ent­wickel­te sich die auf einem Hügel in einer Bie­gung des Flus­ses Tajo erbau­te Stadt als Hoch­burg der Waf­fen­schmie­de. Die­se Funk­ti­on hat­te sie sowohl im Alter­tum als auch im Mit­tel­al­ter inne. Gleich­zei­tig ist Tole­do eine Hoch­burg des Katho­li­zis­mus‘. Denn seit dem Ende der Recon­qui­sta ist der Erz­bi­schof von Tole­do auch Pri­mas der katho­li­schen Kir­che in ganz Spa­ni­en. Und wo die Kir­che ist, so möch­te man mei­nen, da ist auch Dik­ta­tor Fran­co nicht fern: Denn hier ent­stand der Grün­dungs­my­thos des fran­quisti­schen Staa­tes, indem Fran­cos Trup­pen 1936 die mili­tä­risch unbe­deu­ten­de Festung Alcá­zar im repu­bli­ka­ni­schen Tole­do erober­ten und sich der Dik­ta­tor zwei Tages spä­ter zum Gene­ra­lisi­mo aus­ru­fen liess.

Bil­der: Blick auf die Stadt und den beleuch­te­ten Alcazar

 

Wei­ter nach Sara­gos­sa, einer Wirt­schafts­me­tro­po­le Spa­ni­ens. Spa­ni­en ist – wie Deutsch­land und Frank­reich – ein Auto­land. In Sara­gos­sa wer­den seit 1982 Opel-Model­le pro­du­ziert, dar­un­ter Cor­sa, Mok­ka und Cross­land sowie der Citro­en CS. Das Wahr­zei­chen der Stadt ist die Basi­li­ca del Pilar, ein Barock­bau, der dem­entspre­chend Ähn­lich­kei­ten auf­weist mit Kir­chen in Süd­deutsch­land und der Schweiz. Im spa­ni­schen Bür­ger­krieg war die Stadt hef­tig umkämpft, weil die Faschi­sten hier eine wich­ti­ge Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zen­tra­le ein­ge­rich­tet hat­ten. Über 3500 Men­schen fie­len in Sara­gos­sa dem Ter­ror Fran­cos zum Opfer.

Bild: Barock­bau als Wahr­zei­chen der Stadt.

Bild: Rom als Fun­da­ment von Por­tu­gal, Spa­ni­en und Frank­reich: Aus­gra­bungs­stät­te in Saragossa

 

Die letz­te Sta­ti­on auf der Rei­se zurück nach Bern bil­det Nîmes in Frank­reich. Mit sei­nem Amphi­thea­ter und Dia­na-Tem­pel steht Nîmes stell­ver­tre­tend für das römi­sche Fun­da­ment, wel­ches alle Kul­tu­ren und Spra­chen in Süd­west-Euro­pa bis heu­te ent­schei­dend prägt und trägt. Wel­che Stadt und wel­chen Ort man auch immer besucht: Erschlos­sen und „in die Welt geru­fen“ wur­den all die Regio­nen und Land­schaf­ten von den macht­be­wuss­ten und erobe­rungs­star­ken Römern mit ihrer Inge­nieur­kunst und mit ihrer Fähig­keit in Orga­ni­sa­ti­on und Ver­wal­tung. Alle ande­ren, die ihnen folg­ten – die West­go­ten, die Fran­ken und teils selbst die Mau­ren – waren letzt­lich Kin­der des römi­schen Rei­ches und bestrebt, römi­sche Errun­gen­schaf­ten durch die Wir­ren der Zei­ten zu füh­ren. Und dabei spiel­te die Geo­gra­fie wohl immer mit – als Gren­ze für das, was mög­lich war und was nicht. 

Ende des ibe­ri­schen Tagebuchs.

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