Vor­ge­täusch­te Steuerrevision

Der steu­er­lich ver­gün­stig­te Kapi­tal­be­zug aus der Alters­vor­sor­ge ist in erster Linie ein Steu­er­schlupf­loch für Wohl­ha­ben­de. Daher ist es rich­tig, dass das Finanz­de­par­te­ment des­sen Abschaf­fung prü­fen will. Aller­dings ist frag­lich, ob das Vor­ha­ben wirk­lich ernst gemeint ist, denn poli­tisch dürf­te es chan­cen­los sein.

Novem­ber 2024. Wenn Regie­run­gen spa­ren müs­sen, aber ihre eige­ne Kli­en­tel scho­nen wol­len, grei­fen sie ger­ne zu einem alten Trick: Sie machen Vor­schlä­ge, die kei­ne Mehr­hei­ten fin­den, weil sie nicht nur das eige­ne Lager, son­dern auch brei­te Bevöl­ke­rungs­schich­ten betref­fen. So lässt sich das Bestre­ben nach Opfer­sym­me­trie vor­täu­schen, ohne tat­säch­lich han­deln zu müs­sen. Auf die­sen Trick setzt nun auch FDP-Finanz­mi­ni­ste­rin Karin Kel­ler-Sut­ter im Rah­men des geplan­ten Sparpakets.

Kon­kret lässt die Bun­des­rä­tin prü­fen, den Kapi­tal­be­zug aus der Vor­sor­ge steu­er­lich weni­ger attrak­tiv zu machen. Der redu­zier­te Son­der­satz soll abge­schafft und das Alters­gut­ha­ben bei Aus­zah­lung ein­kom­mens­ab­hän­gig besteu­ert wer­den. Wer künf­tig Kapi­tal aus der beruf­li­chen Vor­sor­ge (BVG) und der 3a-Säu­le bezie­hen will, wür­de dem­nach einer höhe­ren Pro­gres­si­on unter­lie­gen und mehr Steu­ern zah­len. Die erwar­te­ten Mehr­ein­nah­men für Bund und Kan­to­ne belau­fen sich auf rund 220 Mil­lio­nen Franken.

Rei­che wer­den zur Kas­se gebeten

Gerecht­fer­tigt wäre eine sol­che Revi­si­on alle­mal. Denn der ver­gün­stig­te Bezug von Alters­ka­pi­tal ist vor allem ein Steu­er­ge­schenk an die hohen Ein­kom­men. Sie kön­nen damit jeweils eine beträcht­li­che Sum­me am Fis­kus vor­bei­schleu­sen. Ein Bei­spiel: Ein Ehe­paar mit einem steu­er­ba­ren Ein­kom­men von 300’000 Fran­ken zahlt heu­te bei Bezug von 650’000 Fran­ken aus der zwei­ten und drit­ten Säu­le ledig­lich 14’000 Fran­ken an Bun­des­steu­ern. Ohne Son­der­satz müss­te es dem Fis­kus bedeu­tend mehr ent­rich­ten, näm­lich 57’000 Fran­ken – also 43’000 Fran­ken mehr.

Die Steu­er­re­vi­si­on wür­de damit vor allem einen klei­nen Kreis von gut­si­tu­ier­ten Spit­zen­ver­die­nen­den tref­fen, tra­di­tio­nell ein wich­ti­ger Teil der FDP-Wäh­ler­schaft. Sie wären es, die den Haupt­teil der pro­gno­sti­zier­ten 220 Mil­lio­nen an zusätz­li­chen Steu­er­erträ­gen bei­steu­ern müssten.

Dem­ge­gen­über wür­de die Mit­tel­schicht weni­ger stark zur Kas­se gebe­ten. Da sie weni­ger Ein­kom­men und Alters­ka­pi­tal auf­weist als die Ober­schicht, wirkt sich die Pro­gres­si­on bei ihr mode­ra­ter aus. Ein Ehe­paar mit einem Ein­kom­men von 145’000 Fran­ken und einem Kapi­tal­be­zug von 270’000 Fran­ken wür­de bei­spiels­wei­se neu 7’100 Fran­ken Bun­des­steu­ern zah­len – das sind 2’900 Fran­ken mehr als heu­te. Dies dürf­te in die­sem Ein­kom­mens­seg­ment spür­bar, aber ver­kraft­bar sein.

Unte­re Lohn­seg­men­te kaum betroffen

Nicht ganz ver­schont wür­den vom Weg­fall des Steu­er­pri­vi­legs auch Klein­spa­rer in den unte­ren Ein­kom­mens­klas­sen. Für ein Ehe­paar mit 65’000 Fran­ken steu­er­ba­rem Ein­kom­men und einem Kapi­tal­be­zug von 150’000 Fran­ken wür­de sich die Steu­er um 400 Fran­ken erhö­hen – von 700 Fran­ken auf neu 1’100 Fran­ken. Das ist auf den ersten Blick nicht viel, aber für die­ses Lohn­seg­ment auch nicht wenig.

Aller­dings ist bei die­sem Bei­spiel zu beden­ken: Man muss über­aus spar­sam leben, um bei einem der­art beschei­de­nen Aus­kom­men über­haupt regel­mä­ssig in die drit­te Säu­le ein­zah­len zu kön­nen. Der weit­aus grö­sse­re Teil der Men­schen mit Monats­löh­nen von rund 5’000 bis 6’500 Fran­ken ist kaum in der Lage, pri­va­tes Alters­ka­pi­tal anzu­spa­ren. Letzt­lich dürf­te die höhe­re Besteue­rung des Kapi­tal­be­zugs daher nur sehr weni­ge Per­so­nen in den unte­ren Lohn­klas­sen tangieren.

Ungleich­be­hand­lung beseitigen

Gerecht­fer­tigt wäre die Revi­si­on zudem, weil sich damit eine Ungleich­be­hand­lung besei­ti­gen lie­sse. Mit dem Ziel, das Alters­spa­ren zu för­dern, sind heu­te alle Gel­der steu­er­be­freit, die wäh­rend des Berufs­le­bens in die Vor­sor­ge flie­ssen. Das gilt sowohl für die AHV- und BVG-Lohn­bei­trä­ge als auch für die frei­wil­li­gen Ein­zah­lun­gen in die Alters­vor­sor­ge. Mit der Pen­sio­nie­rung endet die­se Gleich­be­hand­lung jedoch: Wäh­rend AHV- und BVG-Ren­ten voll­um­fäng­lich der pro­gres­siv aus­ge­stal­te­ten Ein­kom­mens­steu­er unter­lie­gen, wird der Kapi­tal­be­zug aus der zwei­ten und drit­ten Säu­le mit einem ver­gün­stig­ten Son­der­satz besteuert.

Die­se Ungleich­be­hand­lung ist umso sto­ssen­der, als aus­ge­rech­net jene davon pro­fi­tie­ren, die es am wenig­sten benö­ti­gen: Per­so­nen, die dank hohem Ein­kom­men viel Alters­ka­pi­tal ange­spart haben, wie das obi­ge Bei­spiel zeigt. Für sie ist ein Kapi­tal­be­zug eine risi­ko­lo­se Steu­er­um­ge­hung, zumal sie des­we­gen nicht auf eine siche­re Ren­te bis an ihr Lebens­en­de ver­zich­ten müssen.

Anders sieht es für jene Mehr­heit der Men­schen aus, die über die obli­ga­to­ri­schen AHV- und BVG-Bei­trä­ge hin­aus kaum oder nur weni­ge Mit­tel in die frei­wil­li­ge Vor­sor­ge ein­zah­len kön­nen. Sie gehen bei einem Bezug des Kapi­tals das Risi­ko ein, die­ses mit Ver­lust zu inve­stie­ren oder zu rasch auf­zu­brau­chen, sodass am Ende die Sozi­al­hil­fe droht. Ent­schei­den sie sich daher vor­sichts­hal­ber für die Ren­te, bestraft sie der Fis­kus mit dem vol­len Steuertarif.

Das macht deut­lich: Hier wird sozia­le Gerech­tig­keit in abstru­ser Wei­se ins Gegen­teil verkehrt.

Wer hat, dem wird gegeben

Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt, dass die Gut- und Spit­zen­ver­die­nen­den nicht erst nach der Pen­sio­nie­rung, son­dern auch schon wäh­rend des Arbeits­le­bens am stärk­sten vom steu­er­be­frei­ten Vor­sor­ge­spa­ren pro­fi­tie­ren. In die­ser Zeit gelingt es ihnen dank der gel­ten­den Gesetz­ge­bung, ihre Steu­ern mas­siv zu reduzieren.

Das zeigt fol­gen­des Bei­spiel: Eine Per­son in der Stadt Bern mit 250’000 Fran­ken steu­er­ba­rem Ein­kom­men, die über 25 Jah­re hin­weg jeweils 26’000 Fran­ken in die 3a-Säu­le sowie frei­wil­lig in die Pen­si­ons­kas­se ein­zahlt, spart sage und schrei­be rund 281’000 Fran­ken an Steu­ern. Selbst wenn der Bezug der 650’000 Fran­ken bei der Pen­sio­nie­rung künf­tig nicht mehr steu­er­lich ver­gün­stigt wäre und sie des­we­gen zusätz­lich rund 40’000 Fran­ken Bun­des­steu­er dafür ent­rich­ten müss­te, blie­be ihr unter dem Strich immer noch eine Steu­er­erspar­nis von fast einer Vier­tel­mil­li­on Franken.

Das steht im kras­sen Kon­trast zu den Mög­lich­kei­ten der übri­gen Ein­kom­mens­schich­ten. Wer einen nor­ma­len Lohn ver­dient, ist nur bedingt in der Lage, beträcht­li­ches Kapi­tal in die frei­wil­li­ge Vor­sor­ge ein­zu­zah­len. Daher blei­ben auch ihre Steu­er­erspar­nis­se beschei­den. Kurz­um, das heu­ti­ge System läuft dar­aus hin­aus, dass dem, der schon hat, noch mehr gege­ben wird.

Zu vie­le glau­ben, zu profitieren

Doch so berech­tigt die Abschaf­fung des ver­gün­stig­ten Kapi­tal­be­zugs ist: Die Revi­si­on dürf­te kaum Chan­cen haben. Denn wer kann, zahlt heu­te auf jeden Fall in die Säu­le 3a ein, mag die Ein­la­ge noch so beschei­den und für die Alters­vor­sor­ge noch so unwe­sent­lich sein. Dafür sorgt schon die Wer­bung der Finanz­in­du­strie. Hin­zu kommt, dass sich inzwi­schen rund 60 Pro­zent der Neur­ent­ner das Alters­ka­pi­tal teil­wei­se oder ganz aus­zah­len las­sen – dies oft­mals in der trü­ge­ri­schen Annah­me, mit dem pri­va­ten Anle­gen des Kapi­tals die beschei­de­ne Ren­te auf­bes­sern zu können.

Die aller­mei­sten von ihnen glau­ben, zu den Nutz­nie­ssern zu gehö­ren, und wer­den daher in der Revi­si­on den Ver­such des Staa­tes sehen, ihnen ein wohl­erwor­be­nes Pri­vi­leg zu ent­rei­ssen. Und selbst jene, die sich bewusst sind, wie gering die Steu­er­erspar­nis für Nor­mal­ver­die­nen­de ist, wer­den sich sagen: Lie­ber wenig als gar nichts. All dies macht es schwie­rig, Mehr­hei­ten für die Abschaf­fung des Steu­er­schlupf­lochs zu finden.

Die Rech­nung geht auf

Die Rech­nung von Karin Kel­ler-Sut­ter dürf­te damit auf­ge­hen, noch bevor die Ver­nehm­las­sung zur Revi­si­on abge­schlos­sen ist. So hat die poli­ti­sche Rech­te bereits zum jet­zi­gen Zeit­punkt der­art hef­tig Oppo­si­ti­on ange­kün­digt, dass frag­lich ist, ob das Vor­ha­ben je in Angriff genom­men wird.

Dar­auf weist übri­gens auch der Anfang Novem­ber vom Bun­des­rat gefäll­te Ent­scheid in Sachen drit­te Säu­le hin: Ab 2026 sind rück­wir­ken­de Ein­zah­lun­gen in 3a-Kon­ten mög­lich. Das ist kein Abbau, son­dern ein Aus­bau des steu­er­pri­vi­le­gier­ten Alters­spa­rens – also das Gegen­teil des­sen, was die Abschaf­fung des Son­der­sat­zes beim Kapi­tal­be­zug bezweckt. Und pro­fi­tie­ren wer­den auch in die­sem Fall wie­der jene, die gut genug ver­die­nen, um die Ein­zah­lun­gen über­haupt lei­sten zu können.

Text und Bild: Wal­ter Langenegger

Anmer­kung: Alle Steu­er­be­rech­nun­gen im Text basie­ren auf dem am 19. Okto­ber 2024 von Tame­dia ver­öf­fent­lich­ten Steu­er­rech­ner zur Abschaf­fung des Son­der­sat­zes für den Bezug von Vor­sor­ge­ka­pi­tal sowie auf dem Steu­er­rech­ner des Kan­tons Bern für den Steu­er­ort Stadt Bern.

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