Hütet euch vor Kopfsteuern

August 2022. Es mutet schon fast kuri­os an: Nicht Sozi­al­de­mo­kra­tie und Grü­ne, son­dern die bür­ger­li­chen Par­tei­en von GLP bis SVP sind es, die sich bei der Abstim­mung vom 25. Sep­tem­ber für höhe­re Steu­ern zur Finan­zie­rung der AHV stark machen. Aus­ge­rech­net jene Kräf­te, die sich seit Jahr und Tag mit Steu­er­ab­bau pro­fi­lie­ren, wer­den jetzt plötz­lich zu Steu­er-Befür­wor­ter und erach­ten eine Mehr­wert­steu­er-Erhö­hung unum­gäng­lich, wäh­rend die Gegen­sei­te, die sonst für Steu­er­erhö­hung zu haben ist, sich vehe­ment dage­gen wehrt. Ver­kehr­te Welt, könn­te man mei­nen. Doch beim nähe­ren Hin­se­hen wird klar: Es geht den bür­ger­li­chen Par­tei­en weni­ger um Zusatz­mit­tel für die AHV als viel­mehr um die Ver­wei­ge­rung von Soli­da­ri­tät. War­um das?

Steu­er­po­li­tik ist Umverteilungspolitik 

Tat­sa­che ist: Steu­er­po­li­tik ist immer Umver­tei­lungs­po­li­tik. Je nach­dem, wie das Steu­er­sy­stem aus­ge­stal­tet ist, pri­vi­le­giert der Fis­kus bestimm­te gesell­schaft­li­chen Schich­ten, wäh­rend er ande­re stär­ker bela­stet. Steu­ern sind also nicht gleich Steu­ern. Wenn es daher um Steu­er­re­for­men geht, sind wir gut bera­ten, uns zu fra­gen: Wer pro­fi­tiert denn nun? Womög­lich eine klei­ne Grup­pe mit hohen Ein­kom­men und Ver­mö­gen? Oder doch die Mehr­heit der unte­ren und mitt­le­ren Einkommen?

Die sozia­len Steuern …

Grund­sätz­lich exi­stie­ren zwei Arten von Steu­ern, und zwar direk­te und indi­rek­te Steuern:

Zunächst zu den direk­ten Steu­ern: Dazu gehö­ren etwa die kan­to­na­len Ein­kom­mens­steu­ern oder die Bun­des­steu­er. Sie rich­ten sich nach dem Lei­stungs­prin­zip. Der Ein­zel­ne zahlt Steu­ern nach sei­ner wirt­schaft­li­chen Lei­stungs­fä­hig­keit. Dafür sorgt die Pro­gres­si­on. Je weni­ger eine Per­son dem­nach ver­dient, desto tie­fer sind sei­ne Steu­ern, und zwar unter­pro­por­tio­nal. Und je mehr eine Per­son ver­dient, desto höher ist der Steu­er­be­trag, und zwar über­pro­por­tio­nal bis zu einer bestimm­ten Höhe. Damit wer­den die obe­ren Ein­kom­men in die Pflicht genom­men, mehr bei­zu­tra­gen zur Finan­zie­rung der öffent­li­chen Lei­stun­gen als die wirt­schaft­lich Schwa­chen – getreu der Prä­am­bel in unse­rer Bun­des­ver­fas­sung, wonach „die Stär­ke des Vol­kes sich misst am Woh­le der Schwachen“.

Das macht klar: Direk­te Steu­ern sind grund­sätz­lich sozia­le Steu­ern. Sie neh­men Rück­sicht auf die unte­ren und mitt­le­ren Ein­kom­men und bit­ten die Ober­schicht stär­ker zur Kas­se. Im End­ef­fekt führt dies zu einer gerech­ten Umver­tei­lung von oben nach unten.

… und die unso­zia­len Steuern

Sodann zu den indi­rek­ten Steu­ern: Dazu gehö­ren etwa die Mehr­wert­steu­er oder die Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en. Die­se Steu­ern neh­men kei­ne Rück­sicht auf die per­sön­li­chen Ver­hält­nis­se des Steu­er­zah­lers. Alle zah­len den glei­chen Steu­er­be­trag — unab­hän­gig von Ein­kom­men, Ver­mö­gen, Fami­li­en­stand und Lei­stungs­fä­hig­keit. Das führt dazu, dass die­se Steu­ern jene mit gerin­gem Ein­kom­men ungleich stär­ker bela­sten als jene, die über ein hohes Ein­kom­men ver­fü­gen. Die Fol­ge: Oben sinkt die Steu­er­last, unten erhöht sie sich.

Das wie­der­um macht klar: Indi­rek­te Steu­ern sind eigent­li­che Kopf­steu­ern. Sie sind unso­zi­al, weil sie kei­nen Umver­tei­lungs­ef­fekt zur Fol­ge haben. Im Gegen­teil, sie ver­schär­fen die mate­ri­el­le Ungleich­heit einer Gesell­schaft. Die Steu­er­ge­rech­tig­keit nimmt ab und die Sche­re zwi­schen Arm und Reich ver­grö­ssert sich.

Kopf­steu­ern statt Solidarität

Und das ist der zen­tra­le Punkt, wenn die bür­ger­li­chen Par­tei­en von GLP bis SVP nun für eine Mehr­wert­steu­er-Erhö­hung zugun­sten der AHV wer­ben: Ihnen sind die steu­er­po­li­ti­schen Zusam­men­hän­ge sehr wohl bewusst. Aber ganz offen­sicht­lich geht es ihnen nicht dar­um, soli­da­risch Lasten mit­zu­tra­gen, son­dern dar­um, dafür zu sor­gen, dass hohe Ein­kom­men und Ver­mö­gen­de mög­lichst in einem nur gerin­gen Umfang zur Zusatz­fi­nan­zie­rung der AHV her­an­ge­zo­gen wer­den. Dar­um der Rück­griff auf die unso­zia­le Kopfsteuer.

So sehr die bür­ger­li­chen Befür­wor­ter der AHV21 dem auch wider­spre­chen: Mit der Mehr­wert­steu­er-Erhö­hung wird die Zusatz­fi­nan­zie­rung für die AHV de fac­to weit­ge­hend den unte­ren und mitt­le­ren Ein­kom­men über­bür­det. Sie sind es, die fast allein für den pro­gno­sti­zier­ten finan­zi­el­len Zusatz­be­darf der AHV auf­kom­men müs­sen. Die Ober­schicht indes wird kaum tan­giert. Denn zwar trifft zu, dass hohe Ein­kom­men wegen ihres höhe­ren Kon­sums pro Kopf in Pro­zen­ten mehr Mehr­wert­steu­er bezah­len als ande­re. Doch was zählt, sind die effek­ti­ven Ein­nah­men; und die wer­den zur Haupt­sa­che von der gro­ssen Mas­se der unte­ren und mitt­le­ren Ein­kom­men erbracht. Damit ent­puppt sich die Mehr­wert­steu­er-Erhö­hung als eine Mass­nah­me, die es den hohen Ein­kom­men und Ver­mö­gen­den erlaubt, sich aus der sozi­al­po­li­ti­schen Ver­ant­wor­tung zu steh­len. Das hat wenig mit gesell­schaft­li­cher Soli­da­ri­tät und der angeb­li­chen Sor­ge der bür­ger­li­chen Par­tei­en um die Zukunft der AHV zu tun.

Wer gut­be­tucht ist, liebt die Kopfsteuer

Das ist umso sto­ssen­der, als dass seit nun­mehr 30 Jah­ren ein schlei­chen­der Umbau unse­res Steu­er­sy­stems weg von den pro­gres­si­ven und sozia­len Steu­ern hin zu unso­zia­len Kopf­steu­ern wie Abga­ben, Gebüh­ren und höhe­rer Mehr­wert­steu­er statt­fin­det. Das Ver­spre­chen, mit die­sem Umbau alle Steu­er­zah­ler zu ent­la­sten, erwies sich als Schi­mä­re. Zwar zahlt heu­te eine Mehr­heit der Bevöl­ke­rung tie­fe­re Ein­kom­men­steu­ern. Doch dafür sind die Bela­stun­gen mit Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en, mit einer immer höhe­ren Mehr­wert­steu­er sowie mit immer höhe­ren Abga­ben und Gebüh­ren für staat­li­che und pri­va­ti­sier­te Lei­stun­gen von der Keh­richt­ent­sor­gung bis zum Kita-Platz um ein Mehr­fa­ches gestie­gen. Die ein­zi­gen, für die das Ver­spre­chen in Erfül­lung gegan­gen ist, sind die Gross­ver­die­nen­den und Ver­mö­gen­den. So zahlt die Ober­schicht heu­te im Ver­hält­nis zu ihrem Reich­tum so wenig Steu­ern, wie dies nie zuvor der Fall war.

Es gibt bes­se­re Optionen

Das alles spricht dafür, die Mehr­wert­steu­er-Erhö­hung abzu­leh­nen. Damit ris­kie­ren wir nichts. Denn soll­te es tat­säch­lich eine Zusatz­fi­nan­zie­rung für die AHV brau­chen, dann gibt es zumin­dest zwei Optio­nen, auf die wir zurück­grei­fen kön­nen, ohne nega­ti­ve Fol­gen befürch­ten zu müssen.

Das sind zum einen die AHV-Lohn­bei­trä­ge. Lohn­bei­trä­ge scha­den der Wirt­schaft nicht, auch wenn dies immer wie­der behaup­tet wird. Hin­ge­gen sind sie sehr sozi­al: Alle zah­len pro­por­tio­nal einen Pro­zent­satz auf ihr gesam­tes Ein­kom­men ein, erhal­ten im Alter aber nur eine pla­fo­nier­te Ren­te. Das bedeu­tet, dass die Gross­ver­die­ner viel mehr ein­zah­len als sie zurück­er­hal­ten, so dass mit deren Mehr­ein­nah­men die Ren­ten der unte­ren und mitt­le­ren Ein­kom­men quer­fi­nan­ziert wer­den kön­nen. Das ist sozial.

Die ande­re Opti­on ist der jähr­li­che Betrag des Bun­des zuhan­den der AHV. Der Bund lei­stet die­sen Betrag aus dem all­ge­mei­nen Bun­des­haus­halt. Ein beträcht­li­cher Teil davon stammt aus der direk­ten Bun­des­steu­er, wel­che vor allem von hohen Ein­kom­men ali­men­tiert wird. Das stellt sicher, dass eine Umver­tei­lung von oben nach unten stattfindet.

Dar­um: Wer sich als Nor­mal­ver­die­ner all dies vor Augen führt und rech­net, dem wird klar: Man hüte sich vor Kopfsteuern.

Wal­ter Langenegger

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