
September 2022. Das gilt auch für Hollands Nukleus: Amsterdam. Das Programm: zu viele Autos, zu viele Velos, zu viele Fussgängerinnen und Fussgänger. Dichtestress total, doch die Touristen lieben es! Und in der Tat gelingt es kaum, sich der Anziehungskraft dieses Venedig des Nordens zu entziehen — dieser Metropole, die dem Geschäft alles unterordnet und die alle Religionen und Strömungen toleriert, solange die Kasse stimmt. Was vor Jahrhunderten galt – nämlich, dass sich zum Beispiel der reiche katholische Kaufmann im protestantischen Amsterdam auch eine Kirche im eigenen Haus bauen durfte –, das prägt auch heute noch Kultur und Mentalität. Der Kontor ist und bleibt – trotz Anne-Frank-Museum und Metallplakette auf den Strassen für jeden deportierten jüdischen Menschen – das Allbestimmende. Und daraus entstand Amsterdam mit seinen Grachten, Palästen und Hafenvierteln, putzigen Häuserfronten und beschaulichen Wohngassen, kombiniert mit effizienter Infrastruktur und moderner Architektur.







Wo die Welt umgeschlagen wird
Vom selben Geist getrieben, aber nach der Bombardierung im Zweiten Weltkrieg neu erschaffen das andere Zentrum der Niederlande: Rotterdam, der grösste Hafen Europas. Hier wird die Welt umgeschlagen. Nichts in dieser Stadt ist beschaulich. Die mächtige, alles überragende Architektur macht den Menschen zum Winzling und gibt ihm die Rolle, die das Kapital für ihn ausgesucht hat: Er ist Arbeitskraft. Hier leben die Hunderttausenden, die dafür sorgen, dass Holland ein pulsierender globaler Handelsplatz ist und bleibt. Und genau das ist der in Beton und Glas manifestierter Anspruch, den Rotterdam erhebt. Dem Winzling bleibt nur das Staunen.






Ein Ort fürs Gewissen
Demgegenüber ist Den Haag geradezu ein Kontrastprogramm. Die Stadt beherbergt den internationalen Strafgerichtshof und ist damit ein Ort des Gewissens. Er ist der Versuch, Menschlichkeit und Gerechtigkeit allen Verwerfungen zum Trotz zum Durchbruch zu verhelfen und eine Bastion zu sein gegen die Anmassung der Mächtigen und Gewissenlosen, über die Völker zu entscheiden. Die Sehnsucht danach ist alt und reicht im Falle des Strafgerichtshof bis zurück anfangs des 20. Jahrhunderts, als die Friedensbewegung das Projekt lancierte. Das Unterfangen gelang – bemerkenswerterweise dank der Finanzierung durch Andrew Carnegie, ein Stahl-Magnat aus den USA und einer der reichsten Männer der damaligen Zeit. „Der Mann, der reich stirbt, stirbt in Schande“, soll er gesagt haben. Eine Haltung, die in der Tat keine Selbstverständlichkeit ist.

