BVG: Ver­falls­da­tum abgelaufen

Am 22. Sep­tem­ber stim­men wir über eine BVG-Reform ab, die hin­fäl­lig gewor­den ist. Aus­gangs­punkt für die Vor­la­ge war eine histo­risch ein­ma­li­ge Nega­tiv­zins­pha­se, wel­che vie­le Pen­si­ons­kas­sen in Schief­la­ge brach­te. Doch seit der Zins­wen­de ist die Zwei­te Säu­le wie­der sta­bil. Das macht den ange­streb­ten Ren­ten­ab­bau obsolet.

Wal­ter Langenegger

Bern, August 2024. Wäh­rend der ertrags­ar­men Nega­tiv­zins­pha­se von 2014 bis 2022 war es für die Pen­si­ons­kas­sen schwie­rig, eine aus­rei­chen­de Ren­di­te zu erzie­len. Vie­le von ihnen muss­ten dar­um mit den Bei­trä­gen der akti­ven Ver­si­cher­ten die Ren­ten der Pen­sio­nier­ten quer­fi­nan­zie­ren. Laut der BVG-Ober­auf­sichts­kom­mis­si­on (OAK) wur­den in die­ser Zeit ins­ge­samt 40 Mil­li­ar­den Fran­ken von Jung zu Alt umver­teilt. Die Kas­sen reagier­ten mit höhe­ren Bei­trä­gen und tie­fe­ren Ren­ten auf die unge­nü­gen­de Ertrags­la­ge. Dies führ­te laut dem Gewerk­schafts­bund SGB dazu, dass die Lohn­ab­zü­ge um 14 Pro­zent anstie­gen, wäh­rend die Ren­ten san­ken und im Schnitt monat­lich 300 Fran­ken tie­fer sind als vor 15 Jahren.

Ver­schärf­ter Rentenabbau

In glei­cher Wei­se reagier­te auch das Par­la­ment. Gegen den Wil­len der Rats­lin­ken beschloss es im Rah­men der BVG21-Revi­si­on die Sen­kung des Umwand­lungs­sat­zes von 6,8 auf 6 Pro­zent. Damit gibt es auf 100‘000 Fran­ken Alters­gut­ha­ben nur noch 6‘000 statt 6‘800 Fran­ken Ren­te. Laut SGB hat dies im BVG-Obli­ga­to­ri­um Kür­zun­gen von zwölf Pro­zent und Bei­trags­er­hö­hun­gen von bis zu elf Pro­zent zur Fol­ge. Mit ande­ren Wor­ten: Der Sink­flug der Ren­ten wird mit dem BVG21 zusätz­lich verschärft.

Kas­sen sind gut aufgestellt

Mit die­ser Stoss­rich­tung liegt die BVG-Revi­si­on aller­dings ziem­lich schief in der Land­schaft. Denn heu­te, zwei Jah­re nach der Zins­wen­de, prä­sen­tiert sich die Lage der Vor­sor­ge­ein­rich­tun­gen ganz anders. Die OAK atte­stiert ihnen im Jah­res­be­richt 2023 eine gute finan­zi­el­le Lage. Sie sind mit 1‘300 Mil­li­ar­den Fran­ken Kapi­tal soli­de auf­ge­stellt und haben Reser­ven zur Bewäl­ti­gung künf­ti­ger Finanz­markt-Tur­bu­len­zen und der stei­gen­den Lebens­er­war­tung angehäuft.

Dies bele­gen auch die OAK-Kenn­zah­len: 93 Pro­zent der Vor­sor­ge-ein­rich­tun­gen wei­sen heu­te einen Deckungs­grad von min­de­stens 100 Pro­zent. Ins­ge­samt nahm der Deckungs­grad 2023 von 107 Pro­zent auf 110 Pro­zent zu. Die Quer­fi­nan­zie­rung ist kein The­ma mehr. Sie ging ab 2020 zurück und ver­läuft inzwi­schen in umge­kehr­ter Rich­tung von Alt zu Jung. Denn mit dem hohen Spar­ka­pi­tal der über 50-Jäh­ri­gen erwirt­schaf­ten die Kas­sen Über­schüs­se, von denen auch die akti­ven Ver­si­cher­ten pro­fi­tie­ren. 2022 betrug die Umver­tei­lung zu ihren Gun­sten 0,2 Mil­li­ar­den, 2023 waren es 0,3 Milliarden.

Obso­le­te Reform

Fazit: Wir stim­men über eine Revi­si­on ab, deren Ver­falls­da­tum bereits wie­der abge­lau­fen ist. Sie ent­spricht nicht mehr der heu­ti­gen Rea­li­tät und bür­det vie­len Ver­si­cher­ten unnö­ti­ger­wei­se erheb­li­che Opfer auf. Zu den Leid­tra­gen­den gehö­ren vor allem die 50- bis 65-Jäh­ri­gen mit Löh­nen über 50‘000 Fran­ken. So rech­net der SGB damit, dass die Ren­ten mit dem BVG21 im Ein­zel­fall bis zu 15 Pro­zent oder um 270 Fran­ken pro Monat sin­ken können.

Dar­an ändern auch die Ren­ten­zu­schlä­ge für die 15 Neur­ent­ner-Jahr­gän­ge wenig. Die­se sind gering und nur für sehr tie­fe Ren­ten gedacht. Nur ein Vier­tel erhält den vol­len Zuschlag von 200 Fran­ken pro Monat, ein wei­te­res Vier­tel einen Teil­zu­schlag, der auch nur ein paar Fran­ken betra­gen kann. Der Rest bekommt nichts.

Beschei­de­ne Besserstellung

Gleich­zei­tig sind die Ver­bes­se­run­gen, wel­che die BVG-Revi­si­on für Frau­en sowie für Nied­rig­ver­die­nen­de, Teil­zeit-Arbei­ten­de und für Per­so­nen mit Berufs­un­ter­brü­chen vor­sieht, eher beschei­den. Mit der Sen­kung von Ein­tritts­schwel­le und Koor­di­na­ti­ons­ab­zug erhal­ten laut Bun­des­rat zwar neu rund 70‘000 Per­so­nen Zugang zum BVG-Obli­ga­to­ri­um und wei­te­re 30‘000 Per­so­nen leicht höhe­re Ren­ten. Doch gibt es ein Aber: Vie­le Men­schen im Tief­lohn­sek­tor ver­die­nen so wenig, dass sie im Alter gleich­wohl Ergän­zungs­lei­stun­gen benö­ti­gen. Mit dem BVG21 müs­sen sie künf­tig Lohn­bei­trä­ge zah­len und haben weni­ger zum Leben, doch ihre finan­zi­el­le Situa­ti­on im Alter ver­bes­sert sich dadurch nicht.

System­män­gel ausgeblendet

Kei­ne Ant­wor­ten indes hat die BVG-Revi­si­on auf ande­re Pro­ble­me. Dazu gehö­ren der feh­len­de Teue­rungs­aus­gleich und die hohen Ver­mö­gens­ver­wal­tungs­ko­sten. Nur 14 Pro­zent der Kas­sen haben laut SGB trotz gut aus­ge­stat­te­ter Reser­ve­pol­ster die Infla­ti­on frei­wil­lig aus-gegli­chen. Damit fin­det seit Jah­ren ein schlei­chen­der Kauf­kraft­ver­lust statt. Für die Ver­mö­gens­ver­wal­tung wie­der­um ver­sickern inzwi­schen jähr­lich 8,2 Mil­li­ar­den Fran­ken. Das wird von vie­len Exper­ten kri­ti­siert, dar­un­ter der ehe­ma­li­ge Preis­über­wa­cher Rudolf Strahm. «Das ist für Insti­tu­tio­nel­le viel zu hoch», schreibt er auf sei­ner Webseite.

Gegen die Mittelschicht

Unter dem Strich ist das BVG21 alles ande­re als eine muster­gül­ti­ge Geset­zes­ar­beit. Sie bela­stet vor allem die Ver­si­cher­ten mit mitt­le­ren Ein­kom­men und rich­tet sich damit gegen die Mit­tel­schicht, ohne dass sie die System­feh­ler kor­ri­giert. Die Revi­si­on gehört dar­um zurück­ge-schickt zum Absender.

Seit der Zins­wen­de gibt es kei­ne Umver­tei­lung von Jung zu Alt in der Beruf­li­chen Vor­sor­ge. Im Gegen­teil, in gerin­gem Aus­mass wer­den mit den Erträ­gen aus den Spar­gut­ha­ben der Pen­sio­nier­ten die Reser­ven der Beschäf­tig­ten mitfinanziert.
Die Ver­mö­gens­ver­wal­tungs­ko­sten im BVG belau­fen sich heu­te laut offi­zi­el­len Anga­ben auf rund 8,2 Mil­li­ar­den jähr­lich, Ten­denz stei­gend. Das macht im Schnitt fast 1500 Fran­ken pro Ver­si­cher­ten und Jahr aus.

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