MWST und AHV: Strahm irrt sich

Rudolf Strahm, die wirt­schafts­po­li­ti­sche Kory­phäe der Schwei­zer Sozi­al­de­mo­kra­tie, irrt sich: Er bezeich­net die Mehr­wert­steu­er zur Finan­zie­rung der 13. AHV-Ren­te als sozi­al. Doch in Tat und Wahr­heit bedeu­tet dies, die brei­te Bevöl­ke­rung zu zwin­gen, fast die gan­ze Rech­nung selbst zu bezahlen.

Dezem­ber 2024. Rudolf Strahm bringt Tei­le sei­ner Par­tei ins Grü­beln. Hat­te die SP vor der Abstim­mung über die 13. AHV-Ren­te stets betont, dass eine Zusatz­fi­nan­zie­rung über die Mehr­wert­steu­er (MWST) nicht in Fra­ge kommt, so wirbt der SP-Wirt­schafts­exper­te für die Kon­sum­steu­er und ver­leiht ihr das Prä­di­kat «sozi­al» (sie­he Zusatztext).

Abstrak­ter Vergleich

Strahm ver­sucht dies damit zu bele­gen, dass die ein­kom­mens­schwäch­sten 20 Pro­zent der Haus­hal­te nur auf einen Drit­tel ihrer Kon­sum­aus­ga­ben Mehr­wert­steu­er zah­len, wäh­rend es beim reich­sten Fünf­tel zwei Drit­tel sind. Dar­um bela­ste – so sein Argu­ment – der vom Bun­des­rat vor­ge­schla­ge­ne AHV-Zuschlag von 0,7 Pro­zent die unter­sten Ein­kom­mens-schich­ten monat­lich «nur» mit 7 Fran­ken, die ober­sten 20 Pro­zent hin­ge­gen mit 28 Franken.

Doch was gut daher­kommt, steht bei nähe­rer Betrach­tung auf wack­li­gen Bei­nen. Denn Strahm kaschiert mit die­sem abstrak­ten, nur schwer auf die rea­len Lebens­ver­hält­nis­se über­trag­ba­ren Bei­spiel die Tat­sa­che, dass ein Auf­schlag von 28 Fran­ken für hohe Ein­kom­men weni­ger als ein Trink­geld ist.

Sozia­le Lohnprozente

Das zeigt sich vor allem, wenn man die glei­che Rech­nung mit den AHV-Lohn­pro­zen­ten macht: Bei deren Erhö­hung um bei­spiels­wei­se 0,4 Pro­zent – also um 0,2 Pro­zent für die Arbeit­neh­men­den – stei­gen die Kosten für einen Klein­ver­die­ner mit 4000 Fran­ken Lohn etwa gleich stark, näm­lich um 8 Fran­ken, wäh­rend jemand mit einem Monats­lohn von 30‘000 Fran­ken 60 Fran­ken mehr bezahlt. Das ist das Sie­ben­ein­halb­fa­che des­sen, was der Tief­lohn­be­zü­ger zahlt, und fast das Dop­pel­te im Ver­gleich zur Mehr­wert­steu­er. Auch das spü­ren die hohen Ein­kom­men kaum; aber die soli­da­ri­sche Umver­tei­lung ist bedeu­tend effektiver.

Noch deut­li­cher zeigt sich die sozia­le Wir­kung der AHV-Lohn­pro­zen­te, wenn man die Bei­trä­ge der Arbeit­ge­ber mit ein­rech­net: Dadurch ver­dop­peln sich die Erträ­ge für die AHV noch­mals. Mit dem um 8 Fran­ken höhe­ren AHV-Bei­trag «erkauft» sich der Klein­ver­die­ner also ein Viel­fa­ches an AHV-Mehr­ein­nah­men – weit mehr, als er dies jemals mit den 7 Fran­ken über die Mehr­wert­steu­er errei­chen könnte.

Die Mas­se zahlt, nicht die Reichen

Dar­über hin­aus blen­det Strahm aus, dass die hohen Ein­kom­men mit ledig­lich eini­gen hun­dert­tau­send Haus­hal­ten nur einen klei­nen Teil der Bevöl­ke­rung aus­ma­chen. Auch wenn sie noch so viel kon­su­mie­ren, so bleibt ihr Anteil am Mehr­wert­steu­er-Ertrag ins­ge­samt begrenzt. Zah­len tun vor allem ande­re: die brei­te Mas­se der 3,5 Mil­lio­nen Haus­hal­te mit tie­fen und mitt­le­ren Ein­kom­men. Sie sind es, die die Mehr­wert­steu­er zur Haupt­sa­che ali­men­tie­ren. Anders gesagt: Wird die AHV über die Mehr­wert­steu­er finan­ziert, zah­len Klein­ver­die­ner und Mit­tel­klas­se viel mehr in den Topf, als wenn die glei­che Sum­me über Lohn­pro­zen­te beschafft würde.

MWST ist ein Nullsummen-Spiel

Fazit: Die Finan­zie­rung der AHV über die Kon­sum­steu­er bedeu­tet, auf eine ech­te soli­da­ri­sche Umver­tei­lung von oben nach unten zu ver­zich­ten. Es ist ein Null­sum­men­spiel, das hohen Ein­kom­men erlaubt, sich aus ihrer sozi­al­po­li­ti­schen Ver­ant­wor­tung zu steh­len, und die brei­te Bevöl­ke­rung zwingt, fast die gan­ze Rech­nung selbst zu bezahlen.

Auch Rent­ner zahlen

Dies gilt umso mehr, als auch ande­re Argu­men­te Strahms wenig stich­hal­tig sind. So moniert er, dass fast zwei Mil­lio­nen Rent­ne­rin­nen und Rent­ner kei­ne Lohn­pro­zen­te zah­len und sug­ge­riert, dass sie sich nicht an der AHV-Finan­zie­rung betei­li­gen. Das ist falsch. Rent­ne­rin­nen und Rent­ner haben ein Berufs­le­ben lang Bei­trä­ge ein­ge­zahlt und sich damit ein Recht auf AHV erwor­ben. Es ist unfair, ihnen dies jetzt strei­tig zu machen.

Zudem ent­rich­ten Rent­ne­rin­nen und Rent­ner Ein­kom­mens- und Bun­des­steu­ern auf ihre Ren­ten, mit denen unter ande­rem die AHV-Ergän­zungs­lei­stun­gen sowie der AHV-Bun­des­bei­trag und damit ein Teil der AHV-Ren­ten mit­fi­nan­ziert wer­den. Dank der Pro­gres­si­on wird sicher­ge­stellt, dass ins­be­son­de­re wohl­ha­ben­de Rent­ne­rin­nen und Rent­ner ihren gerech­ten Teil zur Alters­vor­sor­ge bei­tra­gen. Und dass jene mit beschei­de­nen Ren­ten steu­er­lich eher geschont wer­den, ist nur recht und billig.

Nicht über­zeu­gend ist auch Strahms Argu­ment, Kapi­tal­ertrags­be­zü­ger ohne Erwerbs­ein­kom­men könn­ten mit der Mehr­wert­steu­er zur AHV-Finan­zie­rung her­an­ge­zo­gen wer­den. Erstens haben Per­so­nen, die kei­ne Bei­trä­ge gezahlt haben, ohne­hin kei­nen Anspruch auf AHV. Und zwei­tens dürf­te ihre Zahl so gering sein, dass sie für die AHV-Finan­zie­rung kaum rele­vant sind. Dar­um: So berech­tigt Strahms Kri­tik an der gerin­gen Besteue­rung von Kapi­tal­erträ­gen ist: Das ist ein Pro­blem unse­res Steu­er­sy­stems, nicht der AHV.

Fal­sche Steuerpolitik

Dass die Mehr­wert­steu­er kaum als sozi­al gel­ten kann, belegt auch die Steu­er­po­li­tik der bür­ger­li­chen Mehr­heit: Seit 40 Jah­ren betreibt sie einen Umbau weg von den sozia­len Ein­kom­mens­steu­ern und Lohn­pro­zen­ten hin zu unso­zia­len Kopf­steu­ern wie Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en und Mehr­wert­steu­er. Das zeigt sich auch jetzt wie­der bei der Bud­get­be­ra­tung: Wenn Steu­er­erhö­hung, dann nur bei der Mehr­wert­steu­er, so das bür­ger­li­che Credo.

Die Fol­ge die­ser Poli­tik ist, dass hohe Ein­kom­men und Ver­mö­gen­de ent­la­stet wer­den, wäh­rend die Steu­er­last für die brei­te Bevöl­ke­rung die glei­che bleibt. Eine über die Mehr­wert­steu­er finan­zier­te AHV ver­schärft die­se Ent­wick­lung. Genau des­halb soll­ten wir dies­mal Rudolf Strahm kein Gehör schenken.

Text und Bild: Wal­ter Langenegger

Strahms Posi­ti­on:

Im Okto­ber in der «Han­dels­zei­tung» und am 3. Dezem­ber in den Tame­dia-Zei­tun­gen bezeich­ne­te es der frü­he­re Preis­über­wa­cher Rudolf Strahm als ein «Mythos», dass die Mehr­wert­steu­er unso­zia­ler sei als Lohnabzüge.

Sei­ne Argu­men­te in Kürze:

  • Per­so­nen mit unter­durch­schnitt­li­chem Ein­kom­men zah­len nur auf einem Drit­tel ihrer Kon­sum­aus­ga­ben über­haupt die Mehr­wert­steu­er. Denn die Miet­ko­sten, Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en und ande­re Ver­si­che­rungs­bei­trä­ge sind von der Mehr­wert­steu­er befreit. Die­se von der Mehr­wert­steu­er befrei­ten Aus­ga­ben machen bei den 20 Pro­zent ein­kom­mens­schwäch­sten Haus­hal­ten zwei Drit­tel der Haus­halt­aus­ga­ben aus.
  • Den rest­li­chen Drit­tel ihres Gel­des geben die­se Haus­hal­te vor allem für Nah­rungs­mit­tel, Medi­ka­men­te, Tele­com oder Kul­tur aus. Die­se Aus­ga­ben pro­fi­tie­ren vom tie­fen Mehr­wert­steu­er­satz von 2,6 Prozent.
  • Die 20 Pro­zent Ein­woh­ner mit den höch­sten Ein­kom­men dage­gen geben den grö­sse­ren Teil ihres Gel­des für Waren und Dienst­lei­stun­gen aus, bei denen die Mehr­wert­steu­er 8,1 Pro­zent beträgt.
  • Eine Erhö­hung der Mehr­wert­steu­er bela­stet des­halb das reich­ste Fünf­tel der Bevöl­ke­rung in abso­lu­ten Fran­ken (nicht in Pro­zent des Ein­kom­mens) vier­mal stär­ker als das ein­kom­mens­schwäch­ste Fünftel.

Gib hier dei­ne Über­schrift ein

Mehr aus meinem Blog

MWST und AHV: Strahm irrt sich

Rudolf Strahm, die wirt­schafts­po­li­ti­sche Kory­phäe der Schwei­zer Sozi­al­de­mo­kra­tie, irrt sich: Er bezeich­net die Mehr­wert­steu­er zur Finan­zie­rung der 13. AHV-Ren­te als sozi­al. Doch in Tat und

weiterlesen

Road­trip zum Schwar­zen Meer

Von Bern zum süd­ru­mä­ni­schen Kon­stan­za am Schwar­zen Meer: Das sind rund 2200 Kilo­me­ter – etwa die­sel­be Strecke, die das Was­ser der Donau von ihrer Quelle

weiterlesen
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner