Oktober 2022. Die SP Schweiz will mit ihrer Online-Plattform DIREKT Politik, Wirtschaft und Gesellschaft aus sozialdemokratischer Perspektive begleiten. Ob das Vorhaben Aussicht darauf hat, die nötige Reichweite zu erzielen, ist fraglich. Zu wünschen wäre es aber allemal. Denn der Blick auf die Medienlandschaft der Schweiz zeigt: Die Linke ist sozusagen medial heimatlos.
Für die Bürgerlichen und die Rechte gehört es zum Standartrepertoire: Die Medien, so ihr Vorwurf, stünden zu links. Die Klage erschallt immer, wenn bürgerliche Politik in den Medien nicht beklatscht, sondern für einmal kritisch hinterfragt wird. Dann wird der missliebige Journalismus rasch zum „linken“ Journalismus. Und weil niemand widerspricht, ist das Klischee der „linken Medien“ längst zum Allgemeingut geworden.
Missliebig ist nicht links
Doch missliebige Medienschaffende sind noch längst keine „linke“ Medienschaffende. Sie tun höchstens ihren journalistischen Job. Darum ist das Bild von den „linken Medien“ eine Schimäre. Tatsache ist vielmehr: Die Schweiz ist ein durch und durch bürgerliches Land. Zwei Drittel wählen GLP, Mitte, FDP und SVP, allesamt wesensverwandte bürgerliche Parteien. Dementsprechend präsentiert sich auch die Medienlandschaft: Sie ist ein Spiegelbild der bürgerlichen Mehrheit und weltanschaulich fest in der bürgerlichen Mitte verankert. Der Wandel von der einstigen Parteipresse hin zu politisch offenen Forumszeitungen hat trotz vielen Umbrüchen und Medienfusionen an dieser grundsätzlichen Struktur und Ausrichtung kaum etwas verändert.
Gut bürgerlich …
Das zeigt sich etwa an den Tageszeitungen und Sonntagsblättern: Wohl arbeiten sie heute nach journalistischen Kriterien, berücksichtigen in ihrer Berichterstattung auch sozialdemokratische und linke Inhalte und lassen Stimmen von SP und Grünen zu Wort kommen. Doch geht es um die Würdigung und die Kommentierung des politischen Geschehens, ist schnell klar, wo die Blätter stehen: in der Regel fest auf bürgerlichem Terrain, wie sie etwa jüngst in Sachen AHV21 demonstrierten. Diese Nähe verstecken sie auch nicht. Im Gegenteil, wie etwa der „Bund“ belegt: Er deklariert sich auf der Frontseite als „unabhängige liberale Tageszeitung“ und bezieht damit unzweifelhaft weltanschaulich Position.
… rechtsbürgerlich …
Noch pointierter manifestiert sich dies bei Medien wie der rechtsbürgerlichen und neoliberalen „NZZ“ oder der nationalistisch-konservativen bis reaktionären „Weltwoche“. Mögen ihre Auflagen schwinden, so erfüllen sie doch weiterhin die Funktion von wichtigen Leitmedien innerhalb des bürgerlichen Lagers. Sie sind eigentliche Organe der bürgerlichen Parteien, indem sie das „Selbstgespräch“ im bürgerlichen Lager moderieren, die Richtung in zentralen Fragen bestimmen und eng mit den wirtschaftlichen Eliten marschieren. Die einstige Kultur der Parteipresse ist hier nach wie vor sehr präsent.
… im bürgerlichen Mainstream …
An dieser Ausgangslage ändert auch das als links gescholtene „Schweizer Radio und Fernsehen“ (SRF) kaum etwas: Der Aufstieg der SVP zu einer 30-Prozent-Partei und deren fortwährenden Attacken gegen das öffentliche Medienhaus SRG – etwa in Form der No-Billag-Initiativen — haben dazu geführt, dass die Programmmacher nach rechts tendieren und die politischen Ressorts von der „Tagesschau“ über die „Arena“ bis zur „Rundschau“ darauf bedacht sind, den Mitte-rechts-Mainstream zu folgen. „Kritisch ja, aber ohne Brüskierung der Mehrheit“, scheint die unausgesprochene Losung zu lauten.
… und linksliberal
Und schliesslich: Auch mit den neuen Online-Medien bleibt die Schweizer Medienwelt bürgerlich. Die neuen Formate sind zwar urban orientiert und vertreten in ökologischen, gesellschaftlichen oder asylpolitischen Fragen ähnliche Haltungen wie linke Parteien. Geht es aber um klassische linke Themen wie Umverteilung und soziale Gerechtigkeit, offenbart sich oft eine spürbare Distanz zu SP und Grünen. Das macht klar: Online-Medien wie die „Republik“ sind nicht links; sie sind nur linksliberal.
Kurzum: Wenn linke Themen für einmal auch in positivem Sinne beurteilt und kommentiert werden, dann sind dies Einzelfälle. Das kommt vor, etwa im „Echo der Zeit“ oder im „SonntagsBlick“. Aber sie stehen meist in Zusammenhang mit Ausnahmesituationen. Stichworte dazu sind etwa die Pflege-Initiative oder die von aussen aufgezwungene OECD-Mindeststeuer.
Linke Medien: Nischendasein
Demgegenüber fristen linke Medien lediglich ein Nischendasein. Seit dem Verschwinden der Arbeiterpresse vor über 30 Jahren existieren nur noch die „Wochenzeitung“, die Gewerkschaftszeitung „Work“ sowie einige kleine, lokale Radio- und Online-Medien, die das Geschehen aus einer linken Perspektive beleuchten. Sie verfügen bei weitem nicht über die publizistische Reichweite, die nötig wäre, um nur schon die gut 30 Prozent jener Menschen zu erreichen, die der Sozialdemokratie oder den Grünen politisch nahestehen.
Dies wiederum bedeutet: Jener Drittel der Menschen in der Schweiz, die links wählen und abstimmen, informieren sich mehrheitlich über Medien, die weltanschaulich im bürgerlichen Lager positioniert sind. Damit ist die Linke medial heimatlos. Ihr fehlt der Ort, der es ihr erlaubt, über ein linkes Selbstverständnis und über linke Positionen zu debattieren. Und ihr fehlen ihr nahestehende Medien, um Inhalte zu vermitteln, Themen zu setzen und sich im demokratischen Diskurs Gehör zu verschaffen.
Ein Akt der Selbsthilfe
Vor diesem Hintergrund ist der Schritt der SP Schweiz, mit ihrer neuen Online-Plattform DIREKT das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Geschehen aus einer sozialdemokratischen Sicht zu begleiten, ein verständlicher und nachvollziehbarer Akt der Selbsthilfe. Damit lässt sich für ein interessiertes und kritisches Publikum immerhin illustrieren, dass Auswahl, Gewichtung und Kommentierung des täglichen Nachrichtenstoffes auch anders erfolgen könnte als nur auf die Art und Weise, wie es die bürgerlich positionierten Medien tun. Allerdings: Ob es die Webseite schafft, damit eine Reichweite über den Kern der eigenen Partei hinaus zu erzielen, dürfte fraglich sein. Dazu fehlt es zu sehr an Ressourcen und Kapital.
Trotzdem ist das Projekt sinnvoll. Denn angesichts dessen, dass die Online- und sozialen Medien für die Meinungsbildung immer wichtiger werden, ist es richtig, den digitalen Weg zu versuchen. Er bietet immerhin die Möglichkeit, jene Statistiken und Studien, jene Fakten und Zahlen und jene Nachrichten und Erkenntnisse öffentlich zu machen, welche wir nur selten in den anderen Medien finden. Und vielleicht könnte dies hie und da sogar auch den öffentlichen Diskurs befruchten und der Meinungsvielfalt förderlich sein.
Schon dies allein ist Grund genug, dem Online-Magazin DIREKT gutes Gelingen zu wünschen.
Walter Langenegger
Link zu DIREKT:
Final