DIE TRA­GÖ­DIE DER HIGHLANDS

Die Land­schaf­ten in den schot­ti­schen High­lands sind über­wäl­ti­gend – zumin­dest auf den ersten Blick. Doch der Schein trügt. Was wie ein wil­des Stück Nor­den aus urtüm­li­cher Zeit erscheint, ist in Wirk­lich­keit das Resul­tat eines öko­lo­gi­schen und sozia­len Raubbaus.

JULI 2024. Der Blick in die Wei­te der schot­ti­schen High­lands ist in der Tat ein­drück­lich: eine wil­de, offe­ne, kar­ge, von schrof­fen Mee­res­klip­pen und tosen­der See umsäum­te Land­schaft mit rau­en Ber­gen, tie­fen Schluch­ten, ein­sa­men Seen und wei­ten Ebe­nen, über­zo­gen mit einem unend­lich schei­nen­den feucht-kal­ten Grün und getaucht in das mysti­sche Licht des Nor­dens, das geprägt ist vom Kampf der Ele­men­te – genau­er vom stän­di­gen Kampf zwi­schen Son­ne, Regen und Wind. Herr­lich und ver­zau­bernd! Eine Land­schaft wie aus einer ande­ren Welt.

Und als ob dies nicht genug wäre: über­all ver­fal­le­ne Bur­gen und Rui­nen von Klö­stern, gele­gen an Orten, die von kel­ti­schen Drui­den erschaf­fen wor­den sein könn­ten. Über­all heroi­sche Stät­ten, die von Hel­den wie Bra­ve­he­art und Robert the Bruce erzäh­len, wach­ge­hal­ten und zele­briert von Dudel­sack­spie­lern in Schot­ten­röcken und schot­ti­schen Tar­tans in jedem grö­sse­ren Dorf und in den Städ­ten. Hier wird jede Legen­de, jede Sage wahr! Hier, hoch oben im Nor­den, leben Feen, Zau­be­rer und der Heldenmut.

Das heu­ti­ge Schott­land weiss dies gekonnt zu ver­mark­ten. Die Tou­ri­sten kom­men in Scha­ren, las­sen sich von der Land­schaft betö­ren und ver­zücken und stil­len ihre Sehn­sucht nach einer Welt jen­seits der All­täg­lich­keit und fern­ab der Moder­ne – mit Wohn­mo­bil und Auto und mit dem Besuch von Pubs, wo Craft-Beer und Hag­gis (schmeckt wie Black Pud­ding) ange­bo­ten wer­den und wo zu tra­di­tio­nel­len schot­ti­schen Klän­gen laut und glück­lich gefei­ert wird.

Was uns aller­dings zunächst wie ein Feen­land erscheint, offen­bart sich bei nähe­rem Hin­se­hen als eine Tra­gö­die: Die Land­schaft, deret­we­gen Mil­lio­nen nach Schott­land fah­ren, ist nichts wei­ter als eine geschun­de­ne Land­schaft. Der Name des Dra­mas: Ent­wal­dung. Bereits im Mit­tel­al­ter begann die Abhol­zung des einst dich­ten, uralten Wal­des, der Schott­land bedeck­te. Damals wur­de Holz für den Bau von Häu­sern, Schif­fen und als Brenn­stoff genutzt, und es ent­stan­den erste Rodun­gen, um Acker­land zu gewin­nen. Dra­ma­tisch wur­de es dann vor allem im 18. und 19. Jahrhundert.

Was damals geschah, ist unter dem Begriff „High­land Cle­ar­an­ces“ bekannt. Die „High­land Cle­ar­an­ces“ sind eng mit der auf­kom­men­den Tex­til­in­du­strie in Gross­bri­tan­ni­en ver­bun­den, die eine zen­tra­le Trieb­kraft der Indu­stria­li­sie­rung war. Für die Tex­til­pro­duk­ti­on brauch­te es Wol­le. Für die Wol­le brauch­te es Scha­fe. Und für Scha­fe brauch­te es Wei­de­land. Die Land­be­sit­zer der schot­ti­schen High­lands erkann­ten rasch, dass damit viel Geld zu ver­die­nen war. Also ver­trie­ben sie die auf ihren Län­de­rei­en ansäs­si­gen Men­schen und rode­ten in gro­ssem Maß­stab und ohne jede Rück­sicht die Wäl­der, bis alles kahl war und Mil­lio­nen Scha­fe Fut­ter auf den grü­nen, vom West­wind ste­tig bereg­ne­ten Wei­den fanden.

Die Aus­wir­kun­gen die­ser Ent­wick­lung waren ver­hee­rend, sowohl öko­lo­gisch als auch sozi­al. Durch die gross­flä­chi­ge Abhol­zung wur­den die Wäl­der fak­tisch ver­nich­tet. Das führ­te zu Boden­ero­si­on, zum Ver­lust an Arten­viel­falt und zur Ver­än­de­rung des loka­len Kli­mas. In Schott­land exi­stie­ren heu­te nur noch knapp zwei Pro­zent des ursprüng­li­chen Wal­des. Alles ande­re ist Mono­kul­tur-Indu­strie­wald, der nur für den kom­mer­zi­el­len Nut­zen hoch­ge­zo­gen und bei hohem Holz­preis auf einem Schlag abge­holzt wird. Was zurück­bleibt, ist trostlos.

Eben­so gra­vie­rend waren die sozia­len Fol­gen. Zehn­tau­sen­de von Bau­ern, die über Gene­ra­tio­nen hin­weg als Päch­ter auf dem Land gelebt hat­ten, wur­den von den Land­be­sit­zern gezwun­gen, an den Küsten Fischer zu wer­den oder als Pro­le­ta­ri­at in über­füll­te Städ­te zu zie­hen oder ins Aus­land zu emi­grie­ren. Die­se nie ernst­haft auf­ge­ar­bei­te­te Ver­trei­bung führ­te zu einer tief­grei­fen­den Ver­än­de­rung der schot­ti­schen Gesell­schaft und trug zur Ent­völ­ke­rung der High­lands bei. Die Men­schen, die blie­ben, leb­ten oft in Armut und unter schwie­ri­gen Bedin­gun­gen, wäh­rend das Land, das einst ihre Lebens­grund­la­ge war, nur noch für die Schaf­zucht genutzt wurde.

Das ist das rea­le Schott­land: eine gigan­ti­sche Schafs­wei­de, erschaf­fen in der Zeit des Man­che­ster-Kapi­ta­lis­mus. Wer das Land bereist, soll­te dies im Hin­ter­kopf behal­ten. Denn sonst bleibt die Schott­land-Rei­se nur eine Pro­jek­ti­on der eige­nen Sehn­sucht, und nicht jenes Lehr­stück der Geschich­te, wel­ches wir heu­te mir denn je drin­gend beher­zi­gen sollten.

Oben: Mysti­sche Schön­heit am Loch Mea­die. Unten, von links: Küsten­ge­biet bei Dun­ve­gan auf der Insel Skye, Regi­on ober­halb von Apple­cross, Blick von Inver­ewe Gar­dens aus (süd­lich von Ull­a­pool), Glen Aff­ric, wo die letz­ten altern Wäl­der Schott­lands ste­hen, Regi­on unter­halb des Carn Mor im Cairn­gorms Natio­nal Park; Was­ser­fall ober­halb des Kylestrome-Fijords.
Baum­lo­se Wei­ten: Was sich als urtüm­li­che Land­schaft und Tou­ri­sten­ma­gnet prä­sen­tiert, ist oft­mals eine geschun­de­ne Land­schaft: Im 18. und 19. Jahr­hun­dert ver­trie­ben die Gross­grund­be­sit­zer fast über­all in den High­lands die ein­ge­ses­se­nen Bau­ern, lie­ssen die alten Wäl­der abge­hol­zen und wan­del­ten das ganz Land um in eine Schafs­wei­de. Fotos von Land­schaf­ten im Cairng­arms Natio­nal­park sowie im Hin­ter­land der Nord- und West­kü­ste Schottlands.
Indu­strie­wald in Schott­land: Rund 15 Pro­zent wird heu­te in Mono­kul­tu­ren für die Holz­pro­duk­ti­on genutzt.
Indu­strie­wald nach der Abhol­zung. Hier wird radi­kal umge­mäht. Eine Wüste mit totem Restholz.
Auf Schritt und Tritt begeg­net die Rei­sen­de die Geschich­te. Oben: Schloss Eilean Cast­le, bekannt aus dem Film “Der High­lan­der”. Unten von links: die Über­re­ste des Hadri­ans­walls, der seit jeher eine natür­li­che Gren­ze zwi­schen dem Süden und dem Nor­den der Bri­ti­schen Insel mar­kiert; ein alter, ein­sa­mer Tor­bo­gen mit­ten auf einer Wei­de der Regi­on Ard­gar­tan; Schloss Dun­ve­gan auf der Insel Skye; Dun­ro­bin Cast­le, des­sen Besit­zer die gröss­ten Gund­ei­gen­tü­mer des bri­ti­schen Welt­reichs waren und haup­ver­ant­wort­lich waren für das “Hig­land Cle­ar­an­ces; die Rui­ne des Klo­sters Jed­burgh, in den Krie­gen zwi­schen Schot­ten und Eng­län­dern hef­tig umkämpft; und Tou­ri­sten­ma­gne­te wie der Glen­finnan-Via­dukt bzw. die Har­ry-Pot­ter-Eisen­bahn­brücke und das Bal­mo­ral-Cast­le, Som­mer­sitz der eng­li­schen Königsfamiile.
Oben: Son­nen­un­ter­gang am Dun­cans­by Head, öst­lich von Thur­so, mit Blick auf die Ork­ney-Inseln. Unten, von links: Steil­kü­ste gleich bei den Soli­tär­klip­pen Dun­cans­by Stacks, Schafs­wei­den an der Küste bei Thur­so, Sand­strand bei Bet­tyhill, Kyl­estro­me-Fijord im Nord­we­sten Schott­lands und Küsten­re­gi­on bei Gairloch.
Oben: Das Städt­chen Port­ree auf der Insel Skye. Unten, von links: Das Muster der Fischer­dör­fer in Schott­land ist stets das glei­che: Meer, Küsten­stra­sse und Häu­ser­rei­he, so auch in Ull­a­pool oder Apple­cross. Wei­ter von links: Blick auf das Schloss Inver­ness, der Regie­rungs­sitz in Dundee und drei Impres­sio­nen aus Glas­gow, Schott­lands Haupt­stadt: Stra­ssen­bild im Zen­trum, Neu­bau­ten im Hafen und viel Häusermalerei.
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