Arme reiĀ­che Schweiz

Die Schweiz ist ein reiĀ­ches Land. Das sagen die StaĀ­tiĀ­stiĀ­ken, und das weiss jedes Kind. DarĀ­um glauĀ­ben vieĀ­le MenĀ­schen hierĀ­zuĀ­lanĀ­de, selbst ein wenig reich zu sein und minĀ­deĀ­stens der MitĀ­telĀ­klasĀ­se anzuĀ­geĀ­hö­ren – oder sogar einer noch etwas wohlĀ­haĀ­benĀ­deĀ­ren Schicht. Doch SelbstĀ­wahrĀ­nehĀ­mung und ReaĀ­liĀ­tƤt klafĀ­fen ausĀ­einĀ­anĀ­der. VieĀ­le überĀ­schƤtĀ­zen ihren sozio­ökoĀ­noĀ­miĀ­schen StaĀ­tus. Auch das zeiĀ­gen die StaĀ­tiĀ­stiĀ­ken1*.

MƤrz 2023. Wie trü­geĀ­risch das SelbstĀ­bildĀ­nis der Schweiz ist, offenĀ­bart sich bei der VerĀ­teiĀ­lung des ReichĀ­tums. Das reichĀ­ste ProĀ­zent verĀ­fügt über 44,3 ProĀ­zent aller VerĀ­mö­gen. Damit besitĀ­zen rund 80ā€˜000 MenĀ­schen unglaubĀ­liĀ­che 2ā€˜000 MilĀ­liĀ­arĀ­den FranĀ­ken oder 25 MilĀ­lioĀ­nen pro Kopf. Für 90 ProĀ­zent der BevƶlĀ­keĀ­rung bleiĀ­ben hinĀ­geĀ­gen ledigĀ­lich 23,5 ProĀ­zent der insĀ­geĀ­samt 4500 MilĀ­liĀ­arĀ­den VerĀ­mö­gen oder 150ā€˜000 FranĀ­ken pro Kopf — und zwar wohlĀ­verĀ­stanĀ­den inkluĀ­siĀ­ve der indiĀ­viĀ­duĀ­elĀ­len GutĀ­haĀ­ben in den PenĀ­siĀ­onsĀ­kasĀ­sen2*. Die VerĀ­mö­gensĀ­unĀ­gleichĀ­heit in der Schweiz ist damit enorm und noch grö­sser als in den VerĀ­eiĀ­nigĀ­ten StaaĀ­ten, dem kapiĀ­taĀ­liĀ­stischĀ­sten Staat der Welt!

Dass dem so ist, ist gewollt und ResulĀ­tat bürĀ­gerĀ­liĀ­cher MehrĀ­heitsĀ­poĀ­liĀ­tik. Sie oriĀ­enĀ­tiert sich seit über 30 JahĀ­ren an einer neoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­len Wirtschafts‑, Finanz‑, SteuĀ­er- und SoziĀ­alĀ­poĀ­liĀ­tik und hat mit PriĀ­vaĀ­tiĀ­sieĀ­rung, DereĀ­guĀ­lieĀ­rung, LibeĀ­raĀ­liĀ­sieĀ­rung und StaatsĀ­abĀ­bau eine unheilĀ­volĀ­le finanĀ­ziĀ­elĀ­le UmschichĀ­tung von unten nach oben in Gang gesetzt. HeuĀ­te hebt sich eine kleiĀ­ne, priĀ­viĀ­leĀ­gierĀ­te Schicht von SuperĀ­reiĀ­chen und VerĀ­mö­genĀ­den immer stƤrĀ­ker vom Rest der BevƶlĀ­keĀ­rung ab, die insĀ­beĀ­sonĀ­deĀ­re in den letzĀ­ten JahĀ­ren finanĀ­ziĀ­ell immer mehr unter Druck gerƤt.

UngeĀ­rechĀ­tes Steuersystem

AugenĀ­fƤlĀ­lig ist dieĀ­se EntĀ­wickĀ­lung besonĀ­ders bei der SteuĀ­erĀ­beĀ­laĀ­stung: Nach JahrĀ­zehnĀ­ten des SteuĀ­erĀ­baus zeigt sich deutĀ­lich, wer vom System proĀ­fiĀ­tiert: die hohen EinĀ­komĀ­men und VerĀ­mö­genĀ­den. Wer eine MilĀ­liĀ­on verĀ­dient, zahlt heuĀ­te 20 ProĀ­zent weniĀ­ger SteuĀ­ern als frü­her. Für alle andeĀ­ren mit DurchĀ­schnittsĀ­lƶhĀ­nen hat sich indes nichts geƤnĀ­dert: Sie traĀ­gen die gleiĀ­che SteuĀ­erĀ­last wie noch 1990.

GraĀ­fik

Grund dafür ist, dass Bund und Kan­to­ne jah­re­lang gezielt nur die pro­gres­siv bzw. sozi­al aus­ge­stal­te­ten Steu­ern wie etwa jene der Ein­kom­men­steu­ern mit­tels Tarif­sen­kun­gen oder Steu­er­ab­zü­gen redu­zier­ten. Das bevor­teilt die hohen Ein­kom­men; allen ande­ren indes bringt dies nur mini­ma­le Steu­er­erspar­nis­se. Im Gegen­zug erhöh­te die Poli­tik auf allen Ebe­nen die indi­rek­ten Steu­ern wie Abga­ben, Gebüh­ren und Mehr­wert­steu­er, jüngst etwa für die AHV21. Die­se Steu­ern wir­ken wie Kopf­steu­ern und bela­sten das Bud­get der unte­ren und mitt­le­ren Lohn­klas­sen ungleich stär­ker als jenes der Oberschicht.

Hin­zu kommt, dass die Finanz­lob­by in den Par­la­men­ten auch tie­fe­re Kapi­tal­ge­winn­steu­ern durch­set­zen konn­te. Seit 2000 san­ken sie um einen Fünf­tel. Die Steu­ern auf Arbeit dage­gen nah­men zu, und zwar um 3,9 Pro­zent. Damit wur­den jene belohnt, die ihr Geld an der Bör­se ver­die­nen, und jene bestraft, die einer Berufs­ar­beit nachgehen.

Das Fazit nach 30 JahĀ­ren NeoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­lisĀ­mus in der Schweiz: Oben verĀ­teilĀ­ten die BürĀ­gerĀ­liĀ­chen GeschenĀ­ke, unten forĀ­derĀ­ten sie Opfer ein.

Kopf­steu­ern statt sozia­ler Prämien

Die­ses Muster zieht sich wie ein roter Faden durch alle ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Berei­che. Ein Bei­spiel dafür sind die Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en. Frü­her sub­ven­tio­nier­te sie der Staat aus dem all­ge­mei­nen Steu­er­haus­halt und hielt sie auf die­se Wei­se tief. Mit dem neu­en Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz 1994 (KVG) wur­den die Kosten aber in gro­ssem Umfang auf die Ver­si­cher­ten über­wälzt. Seit­her haben sich die Prä­mi­en mehr als verdoppelt.

GraĀ­fik

Die unteĀ­ren EinĀ­komĀ­men erhalĀ­ten zwar eine Prä­miĀ­enĀ­verĀ­bilĀ­liĀ­gung, nicht aber die MitĀ­telĀ­klasĀ­se. Sie leiĀ­det daher am stƤrkĀ­sten unter den als KopfĀ­steuĀ­ern ausĀ­geĀ­stalĀ­teĀ­ten Prä­miĀ­en. Geschont wird dageĀ­gen die OberĀ­schicht: Ihr machen die steiĀ­genĀ­den Prä­miĀ­en nichts aus, weil sie im VerĀ­hƤltĀ­nis zum hohen EinĀ­komĀ­men und zur gerinĀ­gen SteuĀ­erĀ­last keiĀ­nen wesentĀ­liĀ­chen AusĀ­gaĀ­benĀ­poĀ­sten darĀ­stelĀ­len. Oder anders gesagt: Die OberĀ­schicht wurĀ­de mit dem KVG und den SteuĀ­erĀ­senĀ­kunĀ­gen sozuĀ­saĀ­gen aus ihrer soliĀ­daĀ­riĀ­schen Pflicht entlassen. 

MieĀ­ter am kürĀ­zeĀ­ren Hebel

Was Mit­tel­klas­se und Gering­ver­die­nen­de eben­falls stark bela­stet, sind die Mie­ten. Trotz sin­ken­der Hypo­the­kar­zin­sen sind sie in den letz­ten 16 Jah­ren um über 22 Pro­zent gestie­gen. Dies nicht, weil zu weni­ge Woh­nun­gen erstellt wor­den wären; im Gegen­teil, es wird mas­siv gebaut. Der Grund ist viel­mehr, dass die Ver­mie­ter die Woh­nungs­knapp­heit zur Ren­di­te-Opti­mie­rung aus­nut­zen und ent­ge­gen dem Miet­recht fak­tisch die Markt­mie­te durch­set­zen. Sie erhö­hen oft wider­recht­lich die Mie­ten und geben die Zins­sen­kun­gen nicht wie vor­ge­schrie­ben wei­ter. Denn sie wis­sen: Mie­te­rin­nen und Mie­ter weh­ren sich kaum, weil sie die Woh­nung nicht ver­lie­ren wol­len und Sank­tio­nen befürchten.

GraĀ­fik

Dass sich die Immo­bi­li­en­bran­che dies lei­sten kann, hat mit ihrer star­ken Lob­by im Par­la­ment zu tun, einem schwa­chen Staat, dem die Instru­men­te zum Voll­zug des Miet­ge­set­zes feh­len, und einer Mie­ter­schaft, die nur schlecht orga­ni­siert ist, obwohl sie über eine Mehr­heit ver­fügt. Poli­ti­sche Pas­si­vi­tät sorgt somit dafür, dass die Mie­ter am kür­ze­ren Hebel sitzen.

Wer kann, der ersteht daher Wohn­ei­gen­tum, zumal die­ses steu­er­be­gün­stigt ist und letzt­lich gün­sti­ger kommt als eine Miet­woh­nung. Aber so sehr sich dies vie­le Mit­tel­klas­se-Fami­li­en auch wün­schen: Sie wer­den kaum je in der Lage sein, das nöti­ge Eigen­ka­pi­tal aufzubringen.

Hohe RenĀ­diĀ­ten, tieĀ­fe Lƶhne

Zu alleĀ­dem kommt hinĀ­zu, dass die LƶhĀ­ne hinĀ­ter der WirtĀ­schaftsĀ­leiĀ­stung hinĀ­terĀ­herĀ­hinĀ­ken, was ebenĀ­falls auch die MitĀ­telĀ­klasĀ­se trifft. In den letzĀ­ten zwanĀ­zig JahĀ­ren nahm die WertĀ­schƶpĀ­fung der GesamtĀ­wirtĀ­schaft zwar um 32 ProĀ­zent zu. Aber die norĀ­maĀ­len LƶhĀ­ne stieĀ­gen nur zwiĀ­schen 17 und 19 ProĀ­zent an. EinĀ­zig die Top-LƶhĀ­ne schosĀ­sen durch die Decke. 

GraĀ­fik

Auch das ist eine Form unge­rech­ter Umver­tei­lung. Tie­fe Löh­ne bei hoher Pro­duk­ti­vi­tät bedeu­tet, dass die Arbeit unge­nü­gend ent­löhnt und in Form von über­höh­ten Ren­di­ten von den Aktio­nä­ren abge­schöpft wird. Mit Gesamt­ar­beits­ver­trä­gen ver­su­chen die Gewerk­schaf­ten zwar, Gegen­steu­er zu geben. Da sich aber vie­le Men­schen in der Schweiz oft einer höhe­ren sozio­öko­no­mi­schen Schicht zurech­nen als dies tat­säch­lich der Fall ist, sind sie gewerk­schafts­kri­tisch. Je tie­fer der Orga­ni­sa­ti­ons­grad der Arbeit­neh­mer-Orga­ni­sa­tio­nen aber ist, desto schwie­ri­ger wird es, poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Druck für gerech­te­re Löh­ne zu entwickeln.

SinĀ­kenĀ­de Renten

Was mit dem Aus­ein­an­der­ge­hen der Lohn­sche­re beginnt, setzt sich bei den Ren­ten fort: Tie­fe­re Löh­ne bedeu­ten tie­fe­re Ren­ten, vor allem in der beruf­li­chen Vor­sor­ge (BVG). Obwohl die BVG-Lohn­bei­trä­ge seit Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich stei­gen, sind die Ren­ten im Sink­flug. Mit der jüngst, gegen den Wil­len der Lin­ken beschlos­se­nen BVG-Revi­si­on wird sich die­se Ten­denz wei­ter verschärfen.

GraĀ­fik

Die FinanzĀ­wirtĀ­schaft begrünĀ­det die sinĀ­kenĀ­den BVG-RenĀ­ten nicht zuletzt mit der DemoĀ­graĀ­fie. Das freiĀ­lich ist ein fataĀ­les ArguĀ­ment. Denn das BVG wurĀ­de 1985 geraĀ­de mit dem VerĀ­spreĀ­chen einĀ­geĀ­führt, die AltersĀ­vorĀ­sorĀ­ge dank KapiĀ­talĀ­markt-FinanĀ­zieĀ­rung robuĀ­ster zu machen gegen die zunehĀ­menĀ­de AlteĀ­rung der GesellĀ­schaft. DieĀ­ses VerĀ­spreĀ­chen entĀ­puppt sich heuĀ­te als ein groĀ­sser IrrĀ­tum, der uns immer teuĀ­rer zu steĀ­hen kommt.

Ein­zi­ger Licht­blick bleibt damit die AHV. Schon seit Jah­ren tot­ge­sagt, benö­tigt sie trotz stei­gen­der Rent­ner­zah­len nach wie vor viel weni­ger Mit­tel als das BVG und ist nach wie vor ein wich­ti­ges Instru­ment gegen die Altersarmut.

MitĀ­telĀ­kasĀ­se zwiĀ­schen HamĀ­mer und Amboss

All die­se Zah­len und Sta­ti­sti­ken machen klar, dass sich die Schweiz ent­ge­gen unse­rem Selbst­bild­nis in einer unheil­vol­len Spi­ra­le bewegt. Zwar steigt das Wirt­schafts­wachs­tum kon­ti­nu­ier­lich an und macht das Land immer rei­cher. Doch die­ser Reich­tum, täg­lich erar­bei­tet von Mil­lio­nen von Arbeit­neh­men­den, erreicht die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung nicht mehr. Er bleibt in den obe­ren Schich­ten hän­gen, wäh­rend unten nicht mehr viel ankommt.

Dies trifft die gan­ze Bevöl­ke­rung und ins­be­son­de­re die Mit­tel­klas­se, das Fun­da­ment jeder funk­tio­nie­ren­den Gesell­schaft. Je grö­sser die Unter­schie­de bei Ver­mö­gen und Ein­kom­men, sind, desto mehr gerät sie zwi­schen Ham­mer und Amboss.

Die Fol­ge davon ist: Vor 30 Jah­ren hat­te die Mit­tel­klas­se noch die Per­spek­ti­ve, ihren gesell­schaft­li­chen Sta­tus und deren ihrer Kin­der wei­ter zu ver­bes­sern. Von die­ser Vor­stel­lung müs­sen sie sich immer mehr Men­schen ver­ab­schie­den. Ent­we­der gehö­ren sie zu den weni­gen, die auf der Roll­trep­pe ste­hen. Oder sie stram­pelt sich ab, ohne wirk­lich rich­tig vorwärtszukommen.

Das macht unser Land immer mehr zu einer armen reiĀ­chen Schweiz.

WalĀ­ter Langenegger

(1) Alle GraĀ­fiĀ­ken sind entĀ­nomĀ­men aus dem AnaĀ­lyĀ­seĀ­paĀ­pier ā€žDie KaufĀ­kraft ist unter Druckā€œ von SP-NatioĀ­nalĀ­rä­tin SamiĀ­ra MarĀ­ti. Die ƖkoĀ­noĀ­min hat das Papier im JanuĀ­ar 2003 verĀ­fasst und publiziert.

(2) Die Pro-Kopf-Anga­ben basie­ren auf der Zah­len des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik unter dem Link: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/wirtschaft/vermoegen-haushalte.html

GraĀ­fik

Dass dem so ist, ist gewollt und ResulĀ­tat bürĀ­gerĀ­liĀ­cher MehrĀ­heitsĀ­poĀ­liĀ­tik. Sie oriĀ­enĀ­tiert sich seit über 30 JahĀ­ren an einer neoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­len Wirtschafts‑, Finanz‑, SteuĀ­er- und SoziĀ­alĀ­poĀ­liĀ­tik und hat mit PriĀ­vaĀ­tiĀ­sieĀ­rung, DereĀ­guĀ­lieĀ­rung, LibeĀ­raĀ­liĀ­sieĀ­rung und StaatsĀ­abĀ­bau eine unheilĀ­volĀ­le finanĀ­ziĀ­elĀ­le UmschichĀ­tung von unten nach oben in Gang gesetzt. HeuĀ­te hebt sich eine kleiĀ­ne, priĀ­viĀ­leĀ­gierĀ­te Schicht von SuperĀ­reiĀ­chen und VerĀ­mö­genĀ­den immer stƤrĀ­ker vom Rest der BevƶlĀ­keĀ­rung ab, die insĀ­beĀ­sonĀ­deĀ­re in den letzĀ­ten JahĀ­ren finanĀ­ziĀ­ell immer mehr unter Druck gerƤt.

UngeĀ­rechĀ­tes Steuersystem

AugenĀ­fƤlĀ­lig ist dieĀ­se EntĀ­wickĀ­lung besonĀ­ders bei der SteuĀ­erĀ­beĀ­laĀ­stung: Nach JahrĀ­zehnĀ­ten des SteuĀ­erĀ­baus zeigt sich deutĀ­lich, wer vom System proĀ­fiĀ­tiert: die hohen EinĀ­komĀ­men und VerĀ­mö­genĀ­den. Wer eine MilĀ­liĀ­on verĀ­dient, zahlt heuĀ­te 20 ProĀ­zent weniĀ­ger SteuĀ­ern als frü­her. Für alle andeĀ­ren mit DurchĀ­schnittsĀ­lƶhĀ­nen hat sich indes nichts geƤnĀ­dert: Sie traĀ­gen die gleiĀ­che SteuĀ­erĀ­last wie noch 1990.

GraĀ­fik

Grund dafür ist, dass Bund und Kan­to­ne jah­re­lang gezielt nur die pro­gres­siv bzw. sozi­al aus­ge­stal­te­ten Steu­ern wie etwa jene der Ein­kom­men­steu­ern mit­tels Tarif­sen­kun­gen oder Steu­er­ab­zü­gen redu­zier­ten. Das bevor­teilt die hohen Ein­kom­men; allen ande­ren indes bringt dies nur mini­ma­le Steu­er­erspar­nis­se. Im Gegen­zug erhöh­te die Poli­tik auf allen Ebe­nen die indi­rek­ten Steu­ern wie Abga­ben, Gebüh­ren und Mehr­wert­steu­er, jüngst etwa für die AHV21. Die­se Steu­ern wir­ken wie Kopf­steu­ern und bela­sten das Bud­get der unte­ren und mitt­le­ren Lohn­klas­sen ungleich stär­ker als jenes der Oberschicht.

Hin­zu kommt, dass die Finanz­lob­by in den Par­la­men­ten auch tie­fe­re Kapi­tal­ge­winn­steu­ern durch­set­zen konn­te. Seit 2000 san­ken sie um einen Fünf­tel. Die Steu­ern auf Arbeit dage­gen nah­men zu, und zwar um 3,9 Pro­zent. Damit wur­den jene belohnt, die ihr Geld an der Bör­se ver­die­nen, und jene bestraft, die einer Berufs­ar­beit nachgehen.

Das Fazit nach 30 JahĀ­ren NeoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­lisĀ­mus in der Schweiz: Oben verĀ­teilĀ­ten die BürĀ­gerĀ­liĀ­chen GeschenĀ­ke, unten forĀ­derĀ­ten sie Opfer ein.

Kopf­steu­ern statt sozia­ler Prämien

Die­ses Muster zieht sich wie ein roter Faden durch alle ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Berei­che. Ein Bei­spiel dafür sind die Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en. Frü­her sub­ven­tio­nier­te sie der Staat aus dem all­ge­mei­nen Steu­er­haus­halt und hielt sie auf die­se Wei­se tief. Mit dem neu­en Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz 1994 (KVG) wur­den die Kosten aber in gro­ssem Umfang auf die Ver­si­cher­ten über­wälzt. Seit­her haben sich die Prä­mi­en mehr als verdoppelt.

GraĀ­fik

Die unteĀ­ren EinĀ­komĀ­men erhalĀ­ten zwar eine Prä­miĀ­enĀ­verĀ­bilĀ­liĀ­gung, nicht aber die MitĀ­telĀ­klasĀ­se. Sie leiĀ­det daher am stƤrkĀ­sten unter den als KopfĀ­steuĀ­ern ausĀ­geĀ­stalĀ­teĀ­ten Prä­miĀ­en. Geschont wird dageĀ­gen die OberĀ­schicht: Ihr machen die steiĀ­genĀ­den Prä­miĀ­en nichts aus, weil sie im VerĀ­hƤltĀ­nis zum hohen EinĀ­komĀ­men und zur gerinĀ­gen SteuĀ­erĀ­last keiĀ­nen wesentĀ­liĀ­chen AusĀ­gaĀ­benĀ­poĀ­sten darĀ­stelĀ­len. Oder anders gesagt: Die OberĀ­schicht wurĀ­de mit dem KVG und den SteuĀ­erĀ­senĀ­kunĀ­gen sozuĀ­saĀ­gen aus ihrer soliĀ­daĀ­riĀ­schen Pflicht entlassen. 

MieĀ­ter am kürĀ­zeĀ­ren Hebel

Was Mit­tel­klas­se und Gering­ver­die­nen­de eben­falls stark bela­stet, sind die Mie­ten. Trotz sin­ken­der Hypo­the­kar­zin­sen sind sie in den letz­ten 16 Jah­ren um über 22 Pro­zent gestie­gen. Dies nicht, weil zu weni­ge Woh­nun­gen erstellt wor­den wären; im Gegen­teil, es wird mas­siv gebaut. Der Grund ist viel­mehr, dass die Ver­mie­ter die Woh­nungs­knapp­heit zur Ren­di­te-Opti­mie­rung aus­nut­zen und ent­ge­gen dem Miet­recht fak­tisch die Markt­mie­te durch­set­zen. Sie erhö­hen oft wider­recht­lich die Mie­ten und geben die Zins­sen­kun­gen nicht wie vor­ge­schrie­ben wei­ter. Denn sie wis­sen: Mie­te­rin­nen und Mie­ter weh­ren sich kaum, weil sie die Woh­nung nicht ver­lie­ren wol­len und Sank­tio­nen befürchten.

GraĀ­fik

Dass sich die Immo­bi­li­en­bran­che dies lei­sten kann, hat mit ihrer star­ken Lob­by im Par­la­ment zu tun, einem schwa­chen Staat, dem die Instru­men­te zum Voll­zug des Miet­ge­set­zes feh­len, und einer Mie­ter­schaft, die nur schlecht orga­ni­siert ist, obwohl sie über eine Mehr­heit ver­fügt. Poli­ti­sche Pas­si­vi­tät sorgt somit dafür, dass die Mie­ter am kür­ze­ren Hebel sitzen.

Wer kann, der ersteht daher Wohn­ei­gen­tum, zumal die­ses steu­er­be­gün­stigt ist und letzt­lich gün­sti­ger kommt als eine Miet­woh­nung. Aber so sehr sich dies vie­le Mit­tel­klas­se-Fami­li­en auch wün­schen: Sie wer­den kaum je in der Lage sein, das nöti­ge Eigen­ka­pi­tal aufzubringen.

Hohe RenĀ­diĀ­ten, tieĀ­fe Lƶhne

Zu alleĀ­dem kommt hinĀ­zu, dass die LƶhĀ­ne hinĀ­ter der WirtĀ­schaftsĀ­leiĀ­stung hinĀ­terĀ­herĀ­hinĀ­ken, was ebenĀ­falls auch die MitĀ­telĀ­klasĀ­se trifft. In den letzĀ­ten zwanĀ­zig JahĀ­ren nahm die WertĀ­schƶpĀ­fung der GesamtĀ­wirtĀ­schaft zwar um 32 ProĀ­zent zu. Aber die norĀ­maĀ­len LƶhĀ­ne stieĀ­gen nur zwiĀ­schen 17 und 19 ProĀ­zent an. EinĀ­zig die Top-LƶhĀ­ne schosĀ­sen durch die Decke. 

GraĀ­fik

Auch das ist eine Form unge­rech­ter Umver­tei­lung. Tie­fe Löh­ne bei hoher Pro­duk­ti­vi­tät bedeu­tet, dass die Arbeit unge­nü­gend ent­löhnt und in Form von über­höh­ten Ren­di­ten von den Aktio­nä­ren abge­schöpft wird. Mit Gesamt­ar­beits­ver­trä­gen ver­su­chen die Gewerk­schaf­ten zwar, Gegen­steu­er zu geben. Da sich aber vie­le Men­schen in der Schweiz oft einer höhe­ren sozio­öko­no­mi­schen Schicht zurech­nen als dies tat­säch­lich der Fall ist, sind sie gewerk­schafts­kri­tisch. Je tie­fer der Orga­ni­sa­ti­ons­grad der Arbeit­neh­mer-Orga­ni­sa­tio­nen aber ist, desto schwie­ri­ger wird es, poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Druck für gerech­te­re Löh­ne zu entwickeln.

SinĀ­kenĀ­de Renten

Was mit dem Aus­ein­an­der­ge­hen der Lohn­sche­re beginnt, setzt sich bei den Ren­ten fort: Tie­fe­re Löh­ne bedeu­ten tie­fe­re Ren­ten, vor allem in der beruf­li­chen Vor­sor­ge (BVG). Obwohl die BVG-Lohn­bei­trä­ge seit Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich stei­gen, sind die Ren­ten im Sink­flug. Mit der jüngst, gegen den Wil­len der Lin­ken beschlos­se­nen BVG-Revi­si­on wird sich die­se Ten­denz wei­ter verschärfen.

GraĀ­fik

Die FinanzĀ­wirtĀ­schaft begrünĀ­det die sinĀ­kenĀ­den BVG-RenĀ­ten nicht zuletzt mit der DemoĀ­graĀ­fie. Das freiĀ­lich ist ein fataĀ­les ArguĀ­ment. Denn das BVG wurĀ­de 1985 geraĀ­de mit dem VerĀ­spreĀ­chen einĀ­geĀ­führt, die AltersĀ­vorĀ­sorĀ­ge dank KapiĀ­talĀ­markt-FinanĀ­zieĀ­rung robuĀ­ster zu machen gegen die zunehĀ­menĀ­de AlteĀ­rung der GesellĀ­schaft. DieĀ­ses VerĀ­spreĀ­chen entĀ­puppt sich heuĀ­te als ein groĀ­sser IrrĀ­tum, der uns immer teuĀ­rer zu steĀ­hen kommt.

Ein­zi­ger Licht­blick bleibt damit die AHV. Schon seit Jah­ren tot­ge­sagt, benö­tigt sie trotz stei­gen­der Rent­ner­zah­len nach wie vor viel weni­ger Mit­tel als das BVG und ist nach wie vor ein wich­ti­ges Instru­ment gegen die Altersarmut.

MitĀ­telĀ­kasĀ­se zwiĀ­schen HamĀ­mer und Amboss

All die­se Zah­len und Sta­ti­sti­ken machen klar, dass sich die Schweiz ent­ge­gen unse­rem Selbst­bild­nis in einer unheil­vol­len Spi­ra­le bewegt. Zwar steigt das Wirt­schafts­wachs­tum kon­ti­nu­ier­lich an und macht das Land immer rei­cher. Doch die­ser Reich­tum, täg­lich erar­bei­tet von Mil­lio­nen von Arbeit­neh­men­den, erreicht die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung nicht mehr. Er bleibt in den obe­ren Schich­ten hän­gen, wäh­rend unten nicht mehr viel ankommt.

Dies trifft die gan­ze Bevöl­ke­rung und ins­be­son­de­re die Mit­tel­klas­se, das Fun­da­ment jeder funk­tio­nie­ren­den Gesell­schaft. Je grö­sser die Unter­schie­de bei Ver­mö­gen und Ein­kom­men, sind, desto mehr gerät sie zwi­schen Ham­mer und Amboss.

Die Fol­ge davon ist: Vor 30 Jah­ren hat­te die Mit­tel­klas­se noch die Per­spek­ti­ve, ihren gesell­schaft­li­chen Sta­tus und deren ihrer Kin­der wei­ter zu ver­bes­sern. Von die­ser Vor­stel­lung müs­sen sie sich immer mehr Men­schen ver­ab­schie­den. Ent­we­der gehö­ren sie zu den weni­gen, die auf der Roll­trep­pe ste­hen. Oder sie stram­pelt sich ab, ohne wirk­lich rich­tig vorwärtszukommen.

Das macht unser Land immer mehr zu einer armen reiĀ­chen Schweiz.

WalĀ­ter Langenegger

(1) Alle GraĀ­fiĀ­ken sind entĀ­nomĀ­men aus dem AnaĀ­lyĀ­seĀ­paĀ­pier ā€žDie KaufĀ­kraft ist unter Druckā€œ von SP-NatioĀ­nalĀ­rä­tin SamiĀ­ra MarĀ­ti. Die ƖkoĀ­noĀ­min hat das Papier im JanuĀ­ar 2003 verĀ­fasst und publiziert.

(2) Die Pro-Kopf-Anga­ben basie­ren auf der Zah­len des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik unter dem Link: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/wirtschaft/vermoegen-haushalte.html

Dass dem so ist, ist gewollt und ResulĀ­tat bürĀ­gerĀ­liĀ­cher MehrĀ­heitsĀ­poĀ­liĀ­tik. Sie oriĀ­enĀ­tiert sich seit über 30 JahĀ­ren an einer neoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­len Wirtschafts‑, Finanz‑, SteuĀ­er- und SoziĀ­alĀ­poĀ­liĀ­tik und hat mit PriĀ­vaĀ­tiĀ­sieĀ­rung, DereĀ­guĀ­lieĀ­rung, LibeĀ­raĀ­liĀ­sieĀ­rung und StaatsĀ­abĀ­bau eine unheilĀ­volĀ­le finanĀ­ziĀ­elĀ­le UmschichĀ­tung von unten nach oben in Gang gesetzt. HeuĀ­te hebt sich eine kleiĀ­ne, priĀ­viĀ­leĀ­gierĀ­te Schicht von SuperĀ­reiĀ­chen und VerĀ­mö­genĀ­den immer stƤrĀ­ker von der übriĀ­gen BevƶlĀ­keĀ­rung ab, die insĀ­beĀ­sonĀ­deĀ­re in den letzĀ­ten JahĀ­ren finanĀ­ziĀ­ell immer stƤrĀ­ker unter Druck gerƤt.

UngeĀ­rechĀ­tes Steuersystem

AugenĀ­fƤlĀ­lig ist dieĀ­se EntĀ­wickĀ­lung besonĀ­ders bei der SteuĀ­erĀ­beĀ­laĀ­stung: Nach JahrĀ­zehnĀ­ten des SteuĀ­erĀ­abĀ­baus zeigt sich deutĀ­lich, wer vom System proĀ­fiĀ­tiert: die hohen EinĀ­komĀ­men und VerĀ­mö­genĀ­den. Wer eine MilĀ­liĀ­on verĀ­dient, zahlt heuĀ­te 20 ProĀ­zent weniĀ­ger SteuĀ­ern als frü­her. Für alle andeĀ­ren mit DurchĀ­schnittsĀ­lƶhĀ­nen hat sich indes nichts geƤnĀ­dert: Sie traĀ­gen die gleiĀ­che SteuĀ­erĀ­last wie noch 1990.

Grund dafür ist, dass Bund und Kan­to­ne jah­re­lang gezielt nur die pro­gres­siv bzw. sozi­al aus­ge­stal­te­ten Steu­ern wie etwa jene der Ein­kom­men­steu­ern mit­tels Tarif­sen­kun­gen oder Steu­er­ab­zü­gen redu­zier­ten. Das bevor­teilt die hohen Ein­kom­men; allen ande­ren indes bringt dies nur mini­ma­le Steu­er­erspar­nis­se. Im Gegen­zug erhöh­te die Poli­tik auf allen Ebe­nen die indi­rek­ten Steu­ern wie Abga­ben, Gebüh­ren und die Mehr­wert­steu­er, jüngst etwa für die AHV21. Die­se Steu­ern wir­ken wie Kopf­steu­ern und bela­sten das Bud­get der unte­ren und mitt­le­ren Lohn­klas­sen ungleich stär­ker als jenes der Oberschicht.

Hin­zu kommt, dass die Finanz­lob­by in den Par­la­men­ten auch tie­fe­re Kapi­tal­ge­winn­steu­ern durch­set­zen konn­te. Seit 2000 san­ken sie um einen Fünf­tel. Die Steu­ern auf Arbeit dage­gen nah­men zu, und zwar um 3,9 Pro­zent. Damit wur­den jene belohnt, die ihr Geld an der Bör­se ver­die­nen, und jene bestraft, die einer Berufs­ar­beit nachgehen.

Das Fazit nach 30 JahĀ­ren NeoĀ­liĀ­beĀ­raĀ­lisĀ­mus in der Schweiz: Oben verĀ­teilĀ­ten die BürĀ­gerĀ­liĀ­chen GeschenĀ­ke, unten forĀ­derĀ­ten sie Opfer.

Kopf­steu­ern statt sozia­ler Prämien

Die­ses Muster zieht sich wie ein roter Faden durch alle ver­tei­lungs­po­li­ti­schen Berei­che. Ein Bei­spiel dafür sind die Kran­ken­kas­sen­prä­mi­en. Frü­her sub­ven­tio­nier­te sie der Staat aus dem all­ge­mei­nen Steu­er­haus­halt und hielt sie auf die­se Wei­se tief. Mit dem neu­en Kran­ken­ver­si­che­rungs­ge­setz 1994 (KVG) wur­den die Kosten aber in gro­ssem Umfang auf die Ver­si­cher­ten über­wälzt. Seit­her haben sich die Prä­mi­en mehr als verdoppelt.

Den unteĀ­ren EinĀ­komĀ­men wird zwar eine Prä­miĀ­enĀ­verĀ­bilĀ­liĀ­gung gewƤhrt, nicht aber der MitĀ­telĀ­klasĀ­se. Sie leiĀ­det daher am stƤrkĀ­sten unter den als KopfĀ­steuĀ­ern ausĀ­geĀ­stalĀ­teĀ­ten Prä­miĀ­en. Geschont wird dageĀ­gen die OberĀ­schicht: Ihr machen die steiĀ­genĀ­den Prä­miĀ­en nichts aus, weil sie im VerĀ­hƤltĀ­nis zum hohen EinĀ­komĀ­men und zur gerinĀ­gen SteuĀ­erĀ­last keiĀ­nen wesentĀ­liĀ­chen AusĀ­gaĀ­benĀ­poĀ­sten darĀ­stelĀ­len. Oder anders gesagt: Die OberĀ­schicht wurĀ­de mit dem KVG und den SteuĀ­erĀ­senĀ­kunĀ­gen sozuĀ­saĀ­gen aus ihrer soliĀ­daĀ­riĀ­schen Pflicht entlassen. 

MieĀ­terĀ­schaft am kürĀ­zeĀ­ren Hebel

Was Mit­tel­klas­se und Gering­ver­die­nen­de eben­falls stark bela­stet, sind die Mie­ten. Trotz sin­ken­der Hypo­the­kar­zin­sen sind sie in den letz­ten 16 Jah­ren um über 22 Pro­zent gestie­gen. Dies nicht, weil zu weni­ge Woh­nun­gen erstellt wor­den wären; im Gegen­teil, es wird mas­siv gebaut. Der Grund ist viel­mehr, dass die Ver­mie­te­rin­nen und Ver­mie­ter die Woh­nungs­knapp­heit zur Ren­di­te-Opti­mie­rung aus­nut­zen und ent­ge­gen dem Miet­recht fak­tisch die Markt­mie­te durch­set­zen. Sie erhö­hen oft wider­recht­lich die Mie­ten und geben die Zins­sen­kun­gen nicht wie vor­ge­schrie­ben wei­ter. Denn sie wis­sen: Mie­te­rin­nen und Mie­ter weh­ren sich kaum, weil sie die Woh­nung nicht ver­lie­ren wol­len und Sank­tio­nen befürchten.

Dass sich die Immo­bi­li­en­bran­che dies lei­sten kann, hat mit ihrer star­ken Lob­by im Par­la­ment zu tun, einem schwa­chen Staat, dem die Instru­men­te zum Voll­zug des Miet­ge­set­zes feh­len, und einer Mie­ter­schaft, die nur schlecht orga­ni­siert ist, obwohl sie über eine Mehr­heit ver­fügt. Poli­ti­sche Pas­si­vi­tät sorgt somit dafür, dass die Mie­te­rin­nen und Mie­ter am kür­ze­ren Hebel sitzen.

Wer kann, der ersteht daher Wohn­ei­gen­tum, zumal die­ses steu­er­be­gün­stigt ist und letzt­lich gün­sti­ger kommt als eine Miet­woh­nung. Aber so sehr sich dies vie­le Mit­tel­klas­se-Fami­li­en auch wün­schen: Sie wer­den kaum je in der Lage sein, das nöti­ge Eigen­ka­pi­tal aufzubringen.

Hohe RenĀ­diĀ­ten, tieĀ­fe Lƶhne

Zu alleĀ­dem kommt hinĀ­zu, dass die LƶhĀ­ne der WirtĀ­schaftsĀ­leiĀ­stung hinĀ­terĀ­herĀ­hinĀ­ken, was ebenĀ­falls auch die MitĀ­telĀ­klasĀ­se trifft. In den letzĀ­ten zwanĀ­zig JahĀ­ren nahm die WertĀ­schƶpĀ­fung der GesamtĀ­wirtĀ­schaft zwar um 32 ProĀ­zent zu. Aber die norĀ­maĀ­len LƶhĀ­ne stieĀ­gen nur zwiĀ­schen 17 und 19 ProĀ­zent an. EinĀ­zig die Top-LƶhĀ­ne schosĀ­sen durch die Decke.

Auch das ist eine Form unge­rech­ter Umver­tei­lung. Tie­fe Löh­ne bei hoher Pro­duk­ti­vi­tät bedeu­tet, dass die Arbeit unge­nü­gend ent­löhnt und in Form von über­höh­ten Ren­di­ten von den Aktio­nä­ren abge­schöpft wird. Mit Gesamt­ar­beits­ver­trä­gen ver­su­chen die Gewerk­schaf­ten zwar, Gegen­steu­er zu geben. Da sich aber vie­le Beschäf­tig­ten in der Schweiz oft einer höhe­ren sozio­öko­no­mi­schen Schicht zurech­nen als dies tat­säch­lich der Fall ist, sind sie gewerk­schafts­kri­tisch. Je tie­fer der Orga­ni­sa­ti­ons­grad der Arbeit­neh­men­den-Orga­ni­sa­tio­nen aber ist, desto schwie­ri­ger wird es, poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Druck für gerech­te­re Löh­ne zu entwickeln.

SinĀ­kenĀ­de Renten

Was mit dem Aus­ein­an­der­ge­hen der Lohn­sche­re beginnt, setzt sich bei den Ren­ten fort: Tie­fe­re Löh­ne bedeu­ten tie­fe­re Ren­ten, vor allem in der beruf­li­chen Vor­sor­ge (BVG). Obwohl die BVG-Lohn­bei­trä­ge seit Jah­ren kon­ti­nu­ier­lich stei­gen, sind die Ren­ten im Sink­flug. Mit der jüngst, gegen den Wil­len der Lin­ken beschlos­se­nen BVG-Revi­si­on wird sich die­se Ten­denz wei­ter verschärfen.

Die FinanzĀ­wirtĀ­schaft begrünĀ­det die sinĀ­kenĀ­den BVG-RenĀ­ten nicht zuletzt mit der DemoĀ­graĀ­fie. Das freiĀ­lich ist ein fataĀ­les ArguĀ­ment. Denn das BVG wurĀ­de 1985 geraĀ­de mit dem VerĀ­spreĀ­chen einĀ­geĀ­führt, die AltersĀ­vorĀ­sorĀ­ge dank KapiĀ­talĀ­markt-FinanĀ­zieĀ­rung robuĀ­ster zu machen gegen die zunehĀ­menĀ­de AlteĀ­rung der GesellĀ­schaft. DieĀ­ses VerĀ­spreĀ­chen entĀ­puppt sich heuĀ­te als ein groĀ­sser IrrĀ­tum, der uns immer teuĀ­rer zu steĀ­hen kommt.

Ein­zi­ger Licht­blick bleibt damit die AHV. Schon seit Jah­ren tot­ge­sagt, benö­tigt sie trotz immer mehr Rent­ne­rin­nen und Rent­ner viel weni­ger Mit­tel als das BVG und ist nach wie vor ein wich­ti­ges Instru­ment gegen die Altersarmut.

MitĀ­telĀ­klasĀ­se zwiĀ­schen HamĀ­mer und Amboss

All die­se Zah­len und Sta­ti­sti­ken machen klar, dass sich die Schweiz ent­ge­gen unse­rem Selbst­bild­nis in einer unheil­vol­len Spi­ra­le bewegt. Zwar steigt das Wirt­schafts­wachs­tum kon­ti­nu­ier­lich an und macht das Land immer rei­cher. Doch die­ser Reich­tum, täg­lich erar­bei­tet von Mil­lio­nen von Arbeit­neh­men­den, erreicht die Mehr­heit der Bevöl­ke­rung nicht mehr. Er bleibt in den obe­ren Schich­ten hän­gen, wäh­rend unten nicht mehr viel ankommt.

Dies trifft die gan­ze Bevöl­ke­rung und ins­be­son­de­re die Mit­tel­klas­se, das Fun­da­ment jeder funk­tio­nie­ren­den Gesell­schaft. Je grö­sser die Unter­schie­de bei Ver­mö­gen und Ein­kom­men, sind, desto mehr gerät sie zwi­schen Ham­mer und Amboss.

Die Fol­ge davon ist: Vor 30 Jah­ren hat­te die Mit­tel­klas­se noch die Per­spek­ti­ve, ihren gesell­schaft­li­chen Sta­tus und deren ihrer Kin­der wei­ter zu ver­bes­sern. Von die­ser Vor­stel­lung müs­sen sich immer mehr Men­schen ver­ab­schie­den. Ent­we­der gehö­ren sie zu den weni­gen, die auf der Roll­trep­pe unge­hin­dert nach oben fah­ren. Oder sie stram­peln sich ab, ohne wirk­lich rich­tig vorwärtszukommen.

Das macht unser Land immer mehr zu einer armen reiĀ­chen Schweiz.

WalĀ­ter Langenegger

 


 

1* Alle GraĀ­fiĀ­ken sind entĀ­nomĀ­men aus dem AnaĀ­lyĀ­seĀ­paĀ­pier ā€žDie KaufĀ­kraft ist unter Druckā€œ von SP-NatioĀ­nalĀ­rä­tin SamiĀ­ra MarĀ­ti. Die ƖkoĀ­noĀ­min hat das Papier im JanuĀ­ar 2023 verĀ­fasst und publiziert.

2* Die Pro-Kopf-Anga­ben basie­ren auf Zah­len des Bun­des­am­tes für Sta­ti­stik unter dem Link: https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/querschnittsthemen/wohlfahrtsmessung/alle-indikatoren/wirtschaft/vermoegen-haushalte.html

 

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