Schwächt Elisabeth Baume-Schneiders die Sozialdemokratie? So dachten viele auch schon bei Otto Stich und Ruth Dreifuss, die ebenfalls in umstrittenen Wahlen in die Landesregierung gehievt wurden. Doch sie täuschten sich. Die beiden linken SP-Bundesratsmitglieder waren zum Schluss beliebt und geschätzt in der Partei als auch in der Bevölkerung. Nicht ausgeschlossen, dass Baume-Schneider es ihnen nachmacht.
Dezember 2022. Arme Elisabeth Baume-Schneider! Was sie sich alles anhören muss: Sie sei nicht kompetent und nicht professionell, das Resultat eines rechtsbürgerlichen Machtpokers und des strategischen Versagens der Sozialdemokratie. Zum Trost sei ihr allerdings gesagt: So oder ähnlich klang es schon nach der Wahl von Otto Stich und Ruth Dreifuss. Am Ende ihrer Amtszeit gehörten aber ausgerechnet die beiden zu den populärsten SP-Bundesratsmitgliedern der jüngeren Zeit.
Keine Zufallswahl
Ob dies auch bei Baume-Schneider dereinst der Fall sein wird, wird sich weisen. Aber eines ist ihr immerhin schon gelungen: Sie muss grosse Teile der SP und der Grünen von sich überzeugt haben, sehr wahrscheinlich sogar eine beträchtliche Mehrheit in den beiden Fraktionen. Denn es mögen zwar hüben wie drüben taktische Spiele gespielt worden sein. Doch ausschlaggebend für ihre Wahl war wohl letztlich ihre breite Abstützung in den eigenen Reihen und vorab in den linken Flügeln der beiden Parteien. Das war ihr Fundament. Ohne diese Stimmen hätte sie es nicht geschafft. Damit ist die Wahl von Baume-Schneider alles andere als ein Zufall.
Gegen das übliche Muster
Bemerkenswert ist dabei, dass sie das übliche Muster durchbrochen hat, wonach praktisch nur SP-Politikerinnen und ‑Politiker eine Chance auf einen Regierungssitz haben, die dem Reform- und liberalen Flügel angehören und damit den Bürgerlichen genehm sind. Baume-Schneider verfolgt eine pointiert soziale und linke Politik und hat das auch nie verhehlt – auch nicht an ihrem Wahltag. So zitierte sie in ihrer Rede die Verfassung, wonach sich die „Stärke des Volkes am Wohl der Schwachen misst“ – ein Leitsatz linker Politik. Damit nimmt eine Frau Einsitz in die Landesregierung, die das Herz und die Seele der Sozialdemokratie widerspiegelt.
Favoritin der Bürgerlichen
Dies ist umso bedeutender, als mit Eva Herzog eine SP-Kandidatin zur Wahl stand, die prädestiniert gewesen wäre für die bürgerliche Mehrheit. Mit ihrem Einsatz für die gescheiterte Unternehmenssteuer-Reform III hatte sie sich bereits ein bürgerliches Empfehlungsschreiben für den Bundesrat gesichert. Darum war sie auch Favoritin. Sie ist – so wie zahlreiche baselstädtischen SP-Spitzenleute – eher dem linksliberalen als dem linken Lager zuzurechnen und steht für eine Wirtschafts‑, Steuer- und Finanzpolitik, die sich nur wenig von jener einer bürgerlichen Mitte unterscheidet. Herzogs Wahl wäre also eher im Interesse der Bürgerlichen gewesen. Denn das hätte das Profil der Sozialdemokratie weiter verwischt, eine Partei zu sein, die dezidiert für eine sozial gerechte Umverteilung von oben nach unten einsteht.
Werte statt Taktik
Wenn Experten, Polit-Beobachter und Leitartikler nun gleichwohl eine Schwächung der Sozialdemokratie herbeireden, begreifen sie eines nicht: Eine Partei lebt nicht von technokratischen Winkelzügen und machtpolitischem Taktieren im Kosmos des Bundeshauses. Damit gewinnt man noch keine Wahlen. Eine Partei lebt davon, dass sie Grundwerte hat, die sie glaubhaft und überzeugt der Bevölkerung vermitteln kann. Dazu braucht sie Köpfe, die an das glauben, was sie sagen und auch das vorantreiben, was diesen Werten entspricht – selbst dann, wenn der Widerstand gross ist.
Das scheint Baume-Schneider mitzubringen: Man glaubt ihr, wenn sie sagt, dass sie sich für die Schwachen einsetzen will und dass die Kaufkraft der tieferen und mittleren Einkommen gestärkt werden muss. Diese Glaubwürdigkeit ist wichtig für alle, die für eine gerechtere, sozialere Schweiz einstehen – unabhängig davon, ob sie in der Stadt, in der Agglomeration oder auf dem Land leben.
Und die Städte?
Darum ist Baume-Schneiders Wahl auch kein Schaden für die Städte. Dass die Städte in der Schweiz politisch marginalisiert werden, ist eine institutionelle Fehlkonstruktion, die die bürgerliche Mehrheit zu verantworten hat, nicht die SP. Es sind die Bürgerlichen, die den Städten aus ideologischen Gründen eine stärkere Mitsprache verweigern. Mit Baume-Schneider indes werden die Städte eine Fürsprecherin haben. Denn sie teilt die sozialen Werte, die auch breite städtische Bevölkerungsschichten vertreten.
Wichtig: Sich treu bleiben
Damit sind die Voraussetzungen gar nicht so schlecht, dass Baume-Schneider in die Fussstapfen von Otto Stich und Ruth Dreifuss tritt, für die die soziale Frage ebenfalls Richtschnur ihres Handelns war. So sehr Stich und Dreifuss kritisiert wurden und so häufig sie schmerzliche Rückschläge hinnehmen mussten: In der Bevölkerung genossen sie Vertrauen und Glaubwürdigkeit, weil sie sich stets treu blieben. Das verspricht nun auch Elisabeth Baume-Schneider: dass sie ihr soziales Herz am richtigen Fleck belässt und ihren guten Draht zu den Menschen nicht verliert. Der Sozialdemokratie kann das alles andere als schaden.
Walter Langenegger