Der Bundesrat will bei der Individualbesteuerung die Steuersätze für Ehepaare mit hohem Einkommen leicht erhöhen, um Steuergerechtigkeit zu wahren. Allerdings nimmt er gleichwohl Steuerausfälle von einer Milliarde in Kauf. Und das ist das Problem: Von dieser Milliarde profitieren insbesondere Paare mit Top-Löhnen. Darum: Soll Fairness herrschen, muss die Progression bei den oberen Einkommen stärker angehoben werden — so stark, dass die Abschaffung der „Heiratsstrafe“ insgesamt steuerneutral ausfällt.
August 2023. Seit Jahrzehnten findet in der Schweiz eine Umschichtung der Steuerbelastung statt: Progressive Steuern wie die Einkommens- oder die Bundessteuer werden gesenkt, Abgaben wie die Krankenkassenprämien oder Kopfsteuern wie die Mehrwertsteuer hingegen erhöht. Profiteure dieser Steuerpolitik sind die hohen Einkommen: Deren Steuerlast sinkt seit Jahren. Die Leidtragenden hingegen sind die unteren und mittleren Einkommen: Ihre Steuerbelastung bleibt bei steigenden Lebenshaltungskosten insgesamt gleich hoch.
Neue Ungerechtigkeit
Was der Bundesrat in seinen Eckpunkten zur Abschaffung der „Heiratsstrafe“ nun vorschlägt, geht erneut in diese Richtung: Indem die Eheleute künftig separat besteuert werden sollen, rutschen alle in eine tiefere Progressionsstufe – mit dem Unterschied allerdings, dass die Paare mit hohen und sehr hohen Einkommen steuerlich viel stärker entlastet werden als die Paare mit mittleren oder tiefen Einkommen (punkto Mechanismus siehe auch https://tinyurl.com/y35dsbpe). Verschärft wird dieser Effekt zudem dadurch, dass der Bundesrat auch noch den Kindersteuerabzug erhöhen möchte, was die oberen Einkommen zusätzlich begünstigt. Zu Recht hat daher die SP in der Vernehmlassung gefordert, dass die Progression nicht gebrochen werden und es keine Steuerentlastungen für hohe Einkommen geben darf.
Kosmetik statt Fairness
Der Bundesrat verspricht nun zwar, die Steuersätze für die tieferen und mittleren Einkommen abzusenken und im Gegenzug die Steuersätze für sehr hohe Einkommen leicht zu erhöhen. Doch das ist Kosmetik. Denn angesichts dessen, dass die Landesregierung nach wie vor jährlich mit Steuerausfällen von einer Milliarde Franken rechnet, ist klar: Die Anhebung der Progressionsstufen im oberen Bereich vermag bei weitem nicht jene Steuerausfälle aufzuwiegen, die durch die Abschwächung der Progression insbesondere bei den sehr gut verdienenden Ehepaaren entstehen. Damit droht erneut eine Steuerreform, von der vor allem die Oberschicht finanziell profitiert. Die Steuersparnis für die Mehrheit der Ehepaare dagegen ist nur gering, so dass die Reform dazu führt, dass die meisten letztlich draufzahlen, weil der Staat die fehlende Milliarde durch eine Reduzierung der öffentlichen Dienstleistungen einsparen muss.
Keine Steuerausfälle
So sehr die Forderung nach steuerlicher Gleichstellung darum auch gerechtfertigt ist: Es wäre falsch, sie mit einer neuen Ungerechtigkeit erkaufen zu müssen. Was es braucht, ist daher eine klare Positionierung der linken und progressiven Kräfte — und zwar dahingehend, dass sie sich auf zwei wesentliche Punkte einigen: Erstens darf die Abschaffung der „Heiratsstrafe“ keine Steuerausfälle verursachen. Sie muss steuerneutral erfolgen, damit dem Staat nicht erneut Mittel für den Service public entzogen werden. Zweitens muss auf jeden Fall an den Steuersenkungen für die tieferen und mittleren Einkommen festgehalten werden, da eine Entlastung dieser Schichten längst überfällig ist. Für die Kompensation der Steuerausfälle müssen hingegen die oberen Einkommensklassen herangezogen werden. Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten von zahlreichen Steuersenkungen profitiert. Daher ist es auch angemessen, dass in diesem Bereich die Steuersätze bzw. die Progressionsstufen nach oben korrigiert werden.
Echte Reform
Gelingt dies, wäre das eine echte und fortschrittliche Reform: Damit könnte das gesellschaftlich längst fällige Postulat der steuerlichen Gleichstellung erfüllt und gleichzeitig Steuergerechtigkeit gewahrt werden. Und dass dabei jene Schichten, die ein hohes Einkommen erzielen, etwas mehr Steuern zahlen müssten, ist nichts weiter als fair. Denn wer vom System Schweiz am meisten profitiert, der soll auch wieder etwas mehr der Gesellschaft zurückgeben.
Autor: Walter Langenegger
Foto von Sandy Millar auf Unsplash